0794 - Sieben Leben, sieben Tode
wesentlich passender finde.« Kommissar Werner betrachtete die Fotos der Reihe nach. Sie zeigten Hennings im Gespräch mit Robert Haas, aufgenommen vor dem Panorama des Alsterpavillons am Jungfernstieg. Im Hintergrund war die Fassade des Vier Jahreszeiten zu sehen. »Offenbar hat er für Robert Haas gearbeitet.«
»Weiß man, wann er gestorben ist?«, fragte Nicole. »Auf den Fotos steht kein Datum.«
»Die Aufnahme, die seine Leiche zeigt, ist gestern gemacht worden. Es war übrigens Zamorra, der den Leichnam in einem Haus in der Elbchaussee gefunden hat. Die Autopsie läuft noch. Bisher wissen wir nur, dass Hennings auf die Bruderschaft angesetzt war. Er hatte wenige Stunden vor seinem Tod mit Zamorra und Vincent Perry gesprochen, aber nicht verraten, wer sein Auftraggeber war.«
Nicole deutete auf den Schnappschuss, der Hennings und Robert Haas vor dem Alsterpavillon zeigte. »Das dürfte sich mit diesem Foto geklärt haben.«
Werner nickte nachdenklich. »Offenbar wollte Haas den ›Meister‹ mit seinem Wissen erpressen.«
»… doch der ist ihm auf die Schliche gekommen und hat Hennings kaltgestellt. Die Fotos schickte man Haas, um ihn einzuschüchtern«, kombinierte Nicole.
»Das ist eine Möglichkeit«, sagte Werner. »Ich werde die Fotos der Spurensicherung schicken. Vielleicht befinden sich Fingerabdrücke darauf, oder man kann feststellen, wo sie entwickelt wurden.«
»Sie sagten, dass Vincent Perry bei dem Gespräch mit Hennings dabei war.«
Werner nickte. »Er hat den Kontakt mit Hennings hergestellt. Aber ich fürchte, er kann Ihnen nichts darüber sagen, da er seit gestern Abend verschwunden ist. Wir vermuten, dass er sich zum Zeitpunkt des Einsturzes in der Fabrikhalle befand.«
Nicole zog die Stirn in Falten. Etwas passte an der ganzen Geschichte nicht. Woher hatte Perry gewusst, dass Hennings gegen die Bruderschaft ermittelte? Der Auftraggeber Robert Haas hätte es ihm gewiss nicht erzählt. Hatte Hennings einzelne Mitglieder der Bruderschaft identifiziert und ihnen nachgespürt?
»Mir kommt es so vor, als ob wir etwas Entscheidendes übersehen haben«, sagte sie. »Perry hatte Kontakt zu dem Privatdetektiv und ebenfalls zu James Maloy, der die Bruderschaft verlassen wollte und deshalb umgebracht wurde. Außerdem hat Perry Zamorra angerufen.«
»Weil sie alte Studienkollegen waren. Perry dachte vermutlich, dass Zamorra sich mit Magie auskennt und ihm deshalb beistehen kann.«
»Aber wollte er wirklich aussteigen? Außerdem - enge Freunde waren Zamorra und er gewiss nicht. Ich kannte nicht mal Perrys Namen, bevor er anrief. Zamorra hat mir niemals von ihm erzählt.«
Werner blickte sie mit einer Mischung aus Skepsis und Mitleid an. Wahrscheinlich dachte er, dass es ganz normal war, wenn Menschen Geheimnisse voreinander hatten. Er konnte nicht wissen, dass es bei Zamorra und ihr anders war. Dabei war keiner von beiden darauf aus, den anderen zu kontrollieren. Aber zwischen ihnen war während der letzten dreißig Jahre etwas gewachsen, das so umfassend und großartig war, dass man es mit Worten kaum zu beschreiben vermochte.
Liebe.
»Ich würde mir gern Vincent Perrys Wohnung ansehen«, sagte sie.
Werner schüttelte den Kopf. »Dafür brauchen wir einen Durchsuchungsbefehl. Solange niemand weiß, ob Perry wirklich tot ist, haben wir kein Recht, in die Wohnung einzudringen.«
Sie blickte ihn an. »Zamorra ist verschollen. Vielleicht ist er tot! Ich werde mir Perrys Wohnung ansehen, mit Ihrer Erlaubnis oder ohne sie.«
***
Auf dem Weg zu Perrys Wohnung zog Nicole das TI-Alpha aus der Tasche. Ein fast schon verzweifelt anmutendes Ritual. Als sie die Kurzwahltaste drückte, erschien Zamorras Nummer auf dem Display. Es war die einzige Nummer, die sie in den vergangenen vierundzwanzig Stunden gewählt hatte. Immer wieder.
Die Leuchtanzeige blinkte, während das Handy versuchte, die Verbindung aufzubauen.
»Sie sollten sich nicht quälen«, sagte Werner, während sich seine Hände unmerklich um das Lenkrad spannten. Er wusste, was Nicole fühlte. Er hatte im Polizeidienst schon hundertfach Todesnachrichten überbringen müssen. »Die Rettungsmannschaften tun, was sie können. Aber niemand ist imstande, Wunder zu vollbringen.«
Nicole hörte ihm gar nicht zu. Mit geschlossenen Augen lauschte sie dem atmosphärischen Knistern in der Leitung, das ihr wie das spöttische Flüstern des Universums erscheinen wollte. Relative Unsterblichkeit, Auserwählte, die Tafelrunde… wie hatten Zamorra
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