08-Die Abschussliste
muss einen Narren an ihm gefressen haben.«
»Wir sollten rauskriegen, wer, und anfangen, Hassmails zu schicken.«
Ich nickte wieder. Fast eine Million Mann in der Army, Hunderte von Milliarden Dollar, und letztlich kam es darauf an, wer wen mochte. He, was erwartest du von der Army?
»Ich glaube, ich gehe schlafen«, sagte ich.
Mein Zimmer in der Offiziersunterkunft war so austauschbar, dass ich innerhalb einer Minute, nachdem ich die Tür hinter mir zugemacht hatte, kaum mehr wusste, wo ich war. Ich hängte meine Uniform in den Kleiderschrank, putzte mir die Zähne
und kroch unter die Decke. Die Bettwäsche roch nach dem Waschmittel, das die Army weltweit verwendet. Ich dachte an meine Mutter in Paris und an Joe in Washington. Mom war bestimmt längst im Bett. Joe würde noch im Büro sitzen, wo immer es sich befand. Ich nahm mir sechs Uhr vor und schloss die Augen.
Tagesanbruch war um sechs Uhr fünfzig. Zu diesem Zeitpunkt stand ich mit Summer am Osttor des weitläufigen Geländes, auf dem sich die Panzer des XII. Korps befanden. Wir hielten dampfende Kaffeebecher in den Händen. Der Boden war gefroren, und in der Luft hing leichter Nebel. Der Himmel war grau, die Landschaft vor uns zart pastellgrün. Wie weite Gebiete Mitteleuropas war sie wenig gegliedert, sanft gewellt und monoton. Hier und da bildeten Baumgruppen kleine Wäldchen. Eine im Winterschlaf liegende Landschaft, von der kalte organische Gerüche ausgingen. Der Morgen war sehr still.
Nach dem Tor bog die Straße ab und führte nach Ostnordost in Richtung Russland. Sie war breit und gerade, aus armierten Betonplatten erbaut. Panzerketten hatten an manchen Stellen große keilförmige Stücke aus den Randsteinen herausgerissen. Panzer sind eben schwer zu lenken.
Wir warteten. Noch immer Stille.
Dann hörten wir sie.
Was ist die Erkennungsmelodie des zwanzigsten Jahrhunderts? Darüber könnte man lange diskutieren. Manche würden behaupten, es sei das träge Brummen eines Flugmotors. Vielleicht der Motor eines einzelnen Jägers, der in den vierziger Jahren seine Bahn durchs Himmelsblau zieht. Oder das Heulen eines im Tiefflug vorbeirasenden Düsenjägers, das den Erdboden erzittern lässt. Oder das Knattern der Rotorblätter eines Hubschraubers. Oder das Röhren einer voll beladen startenden 747. Oder ohrenbetäubende Bombendetonationen im Häusermeer einer Großstadt. Sie alle kämen in Frage, sind Geräusche, die erstmals im zwanzigsten Jahrhundert zu hören waren. Ein paar
verrückte Optimisten würden vielleicht für einen Song der Beatles plädieren. Ein Yeah-yeah-yeah- Refrain, der im Kreischen des Publikums untergeht. Mir persönlich hätte diese Wahl gefallen. Aber ein Song und Kreischen kämen nicht in Frage. Musik und Sehnsüchte gibt es seit Urzeiten. Sie sind nicht erst nach neunzehnhundert erfunden worden.
Nein, die Erkennungsmelodie des zwanzigsten Jahrhunderts ist das Rattern und Rasseln von Panzerketten auf Straßenbelag. Dieses Geräusch gab es in Warschau und Rotterdam, Stalingrad und Berlin. Und später dann in Budapest und Prag, Seoul und Saigon. Es ist ein brutales, ein Angst erregendes Geräusch. Es kündet von massiver, überlegener Feuerkraft. Und es kündet von Gleichgültigkeit. Panzerketten rattern und rasseln, und allein ihr Geräusch sagt einem, dass sie durch nichts aufzuhalten sind. Dass man schwach und gegen diese Maschine machtlos ist.
Wir hörten die Kolonne mit Abrams-Kampfpanzern des XII. Korps lange, bevor wir sie sahen. Der Lärm drang durch den Nebel an unser Ohr. Wir hörten die Gleisketten, das Heulen der Gasturbinen. Wir hörten das Mahlen der Getriebe und spürten Vibrationen unter unseren Stiefelsohlen. Wir hörten, wie Splitt und Steine unter dem Gewicht der Ketten zermalmt wurden.
Dann sahen wir sie. Der Führungspanzer tauchte vor uns aus dem Nebel auf. Er fuhr schnell, schwankte leicht, blieb aber niedrig, während seine Turbine röhrte. Dahinter erschien ein weiteres Ungetüm, dann noch eins - in Kiellinie wie eine Armada aus der Hölle. Der M1A1 Abrams gleicht einem Hai, der durch Evolution zu höchster Vollkommenheit gelangt ist. Kein anderer Panzer kann ihn auch nur beschädigen. Er ist mit verbrauchtem Uran zwischen zwei Stahlplatten gepanzert. Diese Panzerung ist dicht und undurchdringlich. Im Kampfgetümmel verschossene Panzergranaten, Raketen und Pak-Granaten prallen einfach von ihr ab. Aber sein wirkungsvollster Trick besteht darin, so viel Abstand zu halten, dass
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