08 - Ehrenschuld
eine Provokation, mit einer Guerillabewegung, die auf dem Boden eines Nachbarn operiert, ausgedehnte Verhandlungen zu führen.«
Dies war für die amerikanische Regierung ein neuer Anlaß zur Sorge. Die beiden ehemaligen britischen Kolonien hatten in freundlicher Nachbarschaft gelebt, doch seit Jahren betrieben die Tamilen auf der Insel Sri Lanka einen häßlichen kleinen Aufstand. Die Srilanker hatten das indische Festland um Truppen gebeten, die den Frieden sichern helfen sollten. Indien hatte dem Wunsch entsprochen, doch was honorig begonnen hatte, nahm jetzt einen anderen Charakter an. Es war durchgesickert, daß die Regierung von Sri Lanka die indischen Truppen zum Verlassen des Landes auffordern wollte. Man hatte auch erfahren, daß es bei der Durchführung ihres Abzugs »technische Schwierigkeiten« geben würde. Das deckte sich mit dem, was über ein Gespräch bekannt geworden das der indische Außenminister auf einem Empfang in Delhi mit dem amerikanischen Botschafter geführt hatte.
»Wissen Sie«, hatte der Minister gesagt, nachdem er - wohl mit Absicht
- ein paar Glas zuviel getrunken hatte, »man nennt das südlich von uns gelegene Gewässer den Indischen Ozean, und wir besitzen eine Marine, um ihn zu überwachen. Nachdem die sowjetische Bedrohung verschwunden ist, fragen wir uns, wieso die U.S. Navy so fest entschlossen zu sein scheint, dort eine Streitmacht aufrechtzuerhalten.«
Der amerikanische Botschafter war kein Karrierediplomat, sondern aus politischen Gründen berufen worden - Indien war, trotz des Klimas, aus unerfindlichen Gründen auf einmal ein Prestigeposten; Scott Adler, der als Profi über solche Leute die Nase rümpfte, hatte in seinem Fall ausnahmsweise unrecht. Der ehemalige Gouverneur von Pennsylvania hatte gelächelt und etwas von der Freiheit der Meere gemurmelt, und bevor er an jenem Abend zu Bett ging, hatte er eine verschlüsselte Botschaft nach Foggy Bottom, dem Sitz des amerikanischen Außenministeriums, gefunkt. Adler mußte zur Kenntnis nehmen, daß sie nicht alle dumm waren.
»Wir sehen keinen Anhaltspunkt für einen aggressiven Akt in dieser Richtung«, sagte Hanson nach kurzer Überlegung.
»Das ethnische Element ist beunruhigend. Nach Norden kann Indien nicht, da sind die Berge im Weg. Der Westen kommt nicht in Frage, denn die Pakis haben auch Kernwaffen. Im Osten liegt Bangladesch - aber da halsen sie sich nur noch mehr Probleme auf. Sri Lanka bietet ihnen echte strategische Möglichkeiten, eventuell als Trittstein.«
»Wohin?« fragte der Präsident.
»Australien. Raum und Ressourcen, nicht viele Menschen im Weg und keine nennenswerten Truppen, die sie aufhalten könnten.«
»Das kann ich mir einfach nicht vorstellen«, erklärte der Außenminister.
»Falls die Tiger einen größeren Erfolg erzielen, kann ich mir sehr wohl vorstellen, daß Indien seine friedenserhaltenden Truppen verstärkt. Als nächstes könnte, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, die Annexion folgen. Und dann haben wir plötzlich eine imperiale Macht, die weit weg von hier ihre Spiele spielt und einem unserer langjährigen Bundesgenossen das Leben schwermacht.« Und schließlich war es doch ganz einfach und eine altbewährte Taktik, den Tigern zu helfen, etwas anzuzetteln. Stellvertreter konnten doch ganz brauchbar sein. »Auf lange Sicht kommt man am billigsten davon, wenn man solchen Ambitionen von Anfang an entgegentritt.«
»Deshalb haben wir ja die Navy im Indischen Ozean«, stellte Hanson selbstbewußt fest.
»Richtig«, gab Ryan zu.
»Sind wir stark genug, um sie davon abzuhalten, die Grenze zu überschreiten?«
»Ja, Mr. President, im Augenblick noch, aber es gefällt mir nicht, wie unsere Navy überbeansprucht wird. Alle Träger, die wir gegenwärtig haben, abgesehen von den beiden, die derzeit überholt werden, sind entweder im Einsatz oder bereiten sich durch Übungen auf den Einsatz vor. Wir haben keine strategische Reserve, die den Namen verdient.« Ryan hielt einen Augenblick inne; ihm war klar, daß er jetzt zu weit ging, aber dennoch sagte er: »Wir haben zu stark gekürzt, Sir. Unsere Leute sind sehr weit verteilt.«
»Wir überschätzen ihre Fähigkeiten. Damit muß Schluß sein«, sagte Raizo Yamata. Er trug einen eleganten seidenen Kimono und saß an einem traditionellen tiefen Tisch.
Die anderen am Tisch schauten verstohlen auf ihre Uhr. Es ging auf drei Uhr in der Nacht zu, und es war wirklich spät, auch wenn dies eines der nettesten Geishahäuser der Stadt war. Raizo
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