08 - Ehrenschuld
der
Ministerpräsident; »unterwürfig« paßte vielleicht besser. Die einfachen
Bürger waren oft empört über das, was sie mit ansehen mußten und was
mutige Journalisten offen aussprachen, mit Worten, die einem westlichen
Beobachter schwächlich und kriecherisch erscheinen mochten, die hier aber
ebenso flammende Fanale waren wie das, was Emile Zola einst in Paris plakatiert hatte. Doch die einfachen Bürger hatten nicht das Durchsetzungsvermögen der zaibatsu, und alle Versuche, das politische System zu reformieren, waren daran gescheitert. Die Regierung einer der mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt war infolgedessen kaum mehr als der offizielle Arm von Geschäftsleuten, die niemand gewählt hatte und die selbst ihre eigenen Aktionäre kaum zu Gesicht bekamen. Sie hatten es damals das war ihm inzwischen klar - untereinander abgesprochen, daß er Ministerpräsident wurde, vielleicht als ein Knochen, den man dem gemeinen Volk hinwarf ... Hatte man erwartet, daß er scheitern würde? War das das Schicksal, das sie ihm zugedacht hatten? Daß er scheiterte, damit jene Bürger, die ihre Hoffnungen auf ihn gesetzt hatten, eine Rückkehr zur
Normalität akzeptieren konnten?
Diese Befürchtung hatte ihn dazu getrieben, gegenüber Amerika
Positionen zu vertreten, von denen er wußte, daß sie gefährlich waren. Und
selbst das schien jetzt nicht mehr auszureichen.
»Dieser Meinung sind viele«, bemerkte Goto mit größter
Zuvorkommenheit. »Und ich verneige mich vor Ihrem Mut. Leider haben
die objektiven Verhältnisse unserem Land Schaden zugefügt. So hat die
Veränderung des Wechselkurses zwischen Dollar und Yen verheerende
Auswirkungen auf unsere Auslandsinvestitionen gehabt, und diese
Auswirkungen können nur einer gezielten Politik unserer geschätzten
Handelspartner zugeschrieben werden.«
Seine Vortragsweise wirkte wie einstudiert, dachte der
Ministerpräsident. Einstudiert von wem? Nun ja, das lag wohl auf der Hand.
Der Ministerpräsident fragte sich, ob es Goto bewußt war, daß er in einer
noch schlechteren Position war als der Mann, den er zu verdrängen suchte.
Vermutlich nicht, aber das war ein schwacher Trost. Sollte Goto seinen
Posten übernehmen, würde er noch stärker am Gängelband seiner
Auftraggeber hängen und zu möglicherweise unüberlegten Schritten
genötigt sein. Und im Unterschied zu ihm selbst war Goto unter Umständen
so dumm, zu glauben, daß die von ihm betriebene Politik weise und
obendrein seine eigene sei. Wie lange würde diese Illusion vorhalten?
Christopher Cook wußte, daß es gefährlich war, wenn er es so oft machte. Oft? Naja, ungefähr einmal im Monat. War das oft? Cook war Ministerialdirektor im Außenministerium, kein Geheimdienstler, und er hatte nicht das Handbuch gelesen, vorausgesetzt, es gab eins.
Die Bewirtung war beeindruckend wie immer, das gute Essen und der Wein und das erlesene Ambiente, das allmähliche Fortschreiten durch die Gesprächsthemen, beginnend mit der höflichen und nur der Form halber geäußerten Erkundigung nach dem Ergehen seiner Familie und nach seinem Golfspiel und nach seiner Meinung über dieses oder jenes derzeit aktuelle Thema. Ja, das Wetter war für die Jahreszeit ungewöhnlich freundlich -eine ständig wiederkehrende Äußerung von Seiji; und es stimmte, denn Herbst und Frühling waren in Washington einigermaßen erträglich, doch die Sommer waren heiß und schwül, und die Winter waren naßkalt. Es war öde, selbst für den Berufsdiplomaten, dem bedeutungsloses Geplauder durchaus nicht unbekannt war. Nagumo war mittlerweile so lange in Washington, daß sein Vorrat an originellen Bemerkungen erschöpft war, und in den letzten Monaten hatte er sich immer öfter wiederholt. Tja, warum sollte er auch anders sein als alle übrigen Diplomaten? dachte Cook, dem eine Überraschung bevorstand.
»Wenn ich recht unterrichtet bin, haben Sie mit den Russen ein wichtiges Abkommen getroffen«, bemerkte Seiji Nagumo, als das Gedeck abgetragen wurde.
»Wie meinen Sie?« fragte Cook, der auch dies für Geplauder hielt. »Wir haben erfahren, daß die Beseitigung der Interkontinentalraketen von Ihrer Seite beschleunigt wird«, erläuterte Nagumo und nahm einen Schluck Wein.
»Sie sind gut informiert«, sagte Cook, dermaßen beeindruckt, daß er den Wink - einen Wink wie diesen hatte er noch nie bekommen - nicht verstand. »Ein sehr heikles Thema.«
»Zweifellos, aber doch zugleich eine wundervolle Entwicklung, finden Sie nicht?« Er hob sein Glas und
Weitere Kostenlose Bücher