08 - Ehrenschuld
in dieser Nacht und den vier folgenden Nächten aufgestellt werden, dann würden alle zehn Silos bestückt sein. Das Führungspersonal äußerte seine Bewunderung darüber, wie reibungslos alles geklappt hatte, doch die anderen fanden daran nichts Besonderes. Es war doch eine ganz normale Arbeit. Und wenn es das bei Licht besehen auch war, so war allen dennoch bewußt, daß das, was sie hier gemacht hatten, in nicht allzu ferner Zeit die ganze Welt auf den Kopf stellen würde, und irgendwie hatten sie während des ganzen Projekts erwartet, daß der Himmel sich verfärben und die Erde erbeben würde. Beides war nicht eingetreten, und die Frage war jetzt, ob sie darüber enttäuscht oder erfreut sein sollten.
»Unsere Auffassung ist, daß Sie ihnen gegenüber einen härteren Kurs einschlagen sollten«, sagte Goto in die Stille des Amtszimmers seines Gastgebers hinein.
»Aber warum denn?« fragte der Ministerpräsident, obwohl er die
Antwort kannte.
»Sie wollen uns vernichten. Sie wollen uns dafür bestrafen, daß wir
effizienter sind, daß wir besser arbeiten, daß wir hohe Standards erreichen,
die anzustreben ihre faulen Arbeiter nicht bereit sind.« Der
Oppositionsführer sparte sich seinen anmaßenden Ton für öffentliche
Äußerungen auf. Im Privatgespräch mit dem Führer der Regierung seines
Landes ließen seine Manieren nichts zu wünschen übrig, obwohl er ein
Komplott schmiedete, um diesen schwachen, entschlußlosen Mann
abzusetzen.
»Das muß nicht unbedingt der Fall sein, Goto-san. Sie wissen ebensogut
wie ich, daß wir unlängst unsere Position bezüglich Reis, Automobilen und
Computerchips gefestigt haben. Wir haben ihnen Zugeständnisse
abgerungen, nicht sie uns.« Der Ministerpräsident fragte sich, was Goto im
Schilde führte. Teilweise war es ihm natürlich klar. Goto versuchte mit der
rücksichtslosen Geschicklichkeit, für die er bekannt war, die einzelnen
Fraktionen des Reichstags für seine Zwecke zu vereinnahmen. Der
Ministerpräsident hatte dort eine hauchdünne Mehrheit, und seine
Regierung hatte in Handelsfragen einen harten Kurs eingeschlagen, um
unsichere Kantonisten in seiner Koalition zu beschwichtigen, zumeist
kleinere Figuren und Parteien, die durch ihr Zweckbündnis mit der
Regierung so viel Einfluß gewonnen hatten, daß der Schwanz tatsächlich
mit dem Hund wedeln konnte, weil der Schwanz wußte, daß er das Zünglein
an der Waage war. Der Ministerpräsident hatte sich damit auf ein
gefährliches Spiel eingelassen, einen Hochseilakt ohne Netz. Auf der einen Seite mußte er seine diversen politischen Bündnispartner bei der Stange halten, auf der anderen durfte er den wichtigsten Handelspartner seines Landes nicht vor den Kopf stoßen. Obendrein war es auch noch ein ermüdendes Spiel, zumal mit Leuten wie Goto, die ihm von unten zusahen
und brüllten, in der Hoffnung, ihr Lärm werde ihn zu Fall bringen. Als ob du es besser könntest, dachte der Ministerpräsident, während er
Goto grünen Tee nachschenkte, der sich dafür mit einem höflichen
Kopfnicken bedankte.
Das grundlegende Problem hatte er besser durchschaut als der Führer
der parlamentarischen Opposition. Japan war keine richtige Demokratie.
Wenn nicht de jure, so doch de facto war die Regierung eine Art offizieller
Schutzschild für die Wirtschaft seines Landes, ähnlich wie Amerika im
ausgehenden 19. Jahrhundert. Praktisch wurden die Geschicke des Landes
von einem kleinen Kreis von Geschäftsleuten bestimmt - es waren weniger
als dreißig oder sogar weniger als zwanzig, je nach Betrachtungsweise -,
und wenn es auch den Anschein hatte, als stünden sie und ihre Konzerne in
einem mörderischen Wettbewerb untereinander, so waren sie doch in
Wirklichkeit in jeder erdenklichen Weise untereinander verbandelt, durch
Vorstandsfunktionen, die der eine im Unternehmen des anderen wahrnahm,
als Bankpartner oder durch diverse Kooperationsabsprachen. Sie waren die
zaibatsu, und den Parlamentarier, der einem ihrer Vertreter nicht mit größter
Aufmerksamkeit gelauscht hätte, mußte man mit der Lupe suchen. Noch
seltener war der Abgeordnete, den einer dieser Männer mit einer
persönlichen Audienz beehrte, und wenn es dazu kam, war der gewählte
Vertreter des Gemeinwesens hoch erfreut über sein Glück, denn über eines
verfügten diese Männer, was jedem Politiker fehlte: Geld. Kurz, ihr Wort
war Gesetz. Das Ergebnis war ein durch und durch korrumpiertes
Parlament. Vielleicht war »korrumpiert« der falsche Ausdruck, dachte
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