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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ich tun. In Ordnung? Verstehst du jetzt?«
    Alex verstand. Er sah die harte Linie ihres Unterkiefers, er sah die gespannte Haltung ihres Körpers, die starren Schultern, er sah den steinernen Blick. Und er verstand. Vollkommen. Das, was er nicht verstand - bei sich nicht und bei ihr nicht -, war, wieso er nicht schon viel früher verstanden hatte.
    Er hatte das Gefühl, als habe man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Ein unendlicher leerer Raum schien ihn zu umgeben. Wie aus weiter Ferne hörte er sich sagen: »Wohin willst du, Eve? Was willst du tun?«
    »Schulden eintreiben.« Sie ging ins Badezimmer. Durch die offene Tür sah er sie hastig Make-up auflegen. Sie schminkte sich nicht mit der gewohnten Sorgfalt. Sie schwenkte einmal den Rougepinsel über ihre Wangen, klatschte Tusche auf ihre Wimpern, zog sich die Lippen nach. Damit fertig, fuhr sie sich mit der Bürste durchs Haar und nahm ihre Brille von der Ablage über dem Waschbecken, wo sie sie abends vor dem Zubettgehen immer ablegte.
    Dann kam sie wieder ins Schlafzimmer. »Er hat einen Fehler gemacht - abgesehen von dem, was mit Charlotte passiert ist«, sagte sie. »Er glaubt, ich wäre ohnmächtig. Er glaubt, ich wüßte jetzt nicht, wohin ich mich wenden soll. Aber da irrt er sich, das wird er schnell merken. Wenn es nach mir geht - und das wird es, das kannst du mir glauben -, werde ich eine so strenge einstweilige Verfügung gegen ihn erwirken, daß er in den nächsten fünfzig Jahren nicht ein einziges Wort dieser Story - oder irgendeiner anderen - veröffentlichen kann. Und damit ist er erledigt, genau wie er es verdient hat.«
    »Ich verstehe«, sagte Alex, und obwohl er wußte, daß die Frage sinnlos war, trieb ihn ein hartnäckiges Bedürfnis, wenigstens eine Art Wahrheit aus ihrem Mund zu hören, sie dennoch zu stellen. »Und was ist mit Charlie?«
    »Was soll mit Charlotte sein? Sie ist tot. Sie ist ein Opfer dieser ganzen gemeinen Geschichte. Und der einzige Weg, ihrem Tod einen Sinn zu geben, ist, dafür zu sorgen, daß er nicht umsonst war. Denn das wird er sein, wenn ich ihrem Vater nicht auf der Stelle das Handwerk lege.«
    »Um deinetwillen«, sagte Alex. »Für deine Karriere. Für deine Zukunft. Aber nicht um Charlies willen.«
    »Ja, in Ordnung. Stimmt. Für meine Zukunft. Oder hast du erwartet, daß ich mich in ein Loch verkrieche - also genau das tun würde, was Dennis erreichen will -, weil sie getötet worden ist? Möchtest du das?«
    »Nein«, antwortete er. »Das möchte ich nicht. Ich dachte nur - eine Zeit der Trauer.«
    Drohend trat sie ihm entgegen. »Hör bloß damit auf. Versuch ja nicht, mir zu sagen, was ich fühle und was ich nicht fühle. Erzähl mir nicht, wer ich bin.«
    Er hob kapitulierend die Hände. »Das würde mir nicht einfallen. Jetzt nicht.«
    Sie ging zum Nachttisch und nahm ihre Tasche. »Wir unterhalten uns später«, sagte sie und ging aus dem Zimmer.
    Alex hörte ihre Schritte auf der Treppe. Er hörte, wie der Riegel vor der Tür zurückgeschoben wurde. Einen Moment später hörte er ihren Wagen anspringen. Die Journalisten hatten ihr Lager für die Nacht abgebrochen, sie würde also keine Mühe haben, ungesehen davonzukommen. Ganz gleich, wohin sie fuhr, es würde ihr niemand folgen.
    Er setzte sich auf die Bettkante. Den Kopf in die Hände gestützt, starrte er zum Teppich hinunter, auf seine Füße - so weiß und so nutzlos -, die auf dem Teppich standen. Sein Herz war so leer wie das Zimmer, wie das ganze Haus. Er fühlte die ungeheure Leere in sich und fragte sich, wie er sich so lange etwas hatte vormachen können.
    Für jedes Warnsignal, das sie ihm gegeben hatte, hatte er Entschuldigungen gefunden. In ein paar Jahren, hatte er gedacht, würde sie genug Vertrauen zu ihm gewonnen haben, um sich ihm zu öffnen. Sie war nur vorsichtig, und diese Vorsicht war die logische Folge des Berufs, den sie gewählt hatte, aber mit der Zeit würde sie alle Befürchtungen und alle Hemmnisse abwerfen und ihre Seele freigeben, damit sie sich mit seiner vereinigen konnte. Wenn es soweit war, würden sie auf dieser Verbindung ihrer Seelen ihr Leben aufbauen - eine Familie, eine Zukunft, Liebe. Er müsse nur geduldig sein, hatte er sich immer wieder gesagt. Er müsse ihr nur beweisen, wie tief und unerschütterlich seine Zuneigung war. Wenn ihm das gelänge, würde ihr Leben eine neue Fülle bekommen, durch Kinder - Geschwister für Charlie - bereichert werden, für die er und Eve immer dasein

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