08 - Im Angesicht des Feindes
die erste Etage. Ihrer Berechnung nach lief sie nun seit achtzehn Stunden in denselben Kleidern herum - seit sie in der vergangenen Nacht zu ihrem fruchtlosen Versuch, die Katastrophe abzuwenden, aufgebrochen war. Feuchtkalt lag der Stoff ihres Kleides in ihren Achselhöhlen, und ihr Höschen klebte ihr zwischen den Beinen wie die schweißfeuchte Hand eines Betrunkenen. Sie sehnte sich nach einem Bad, einem langen heißen Bad in duftendem Wasser, und nach einer Gesichtsmaske, die den Dreck aus ihrer Haut saugen würde. Und danach ein Glas Wein. Kühlen Weißwein mit einem leicht moschusähnlichen Nachgeschmack, der sie an Picknicks in Frankreich erinnern würde.
Vielleicht sollten sie nach Frankreich verreisen, bis sich die Wogen geglättet hatten und sie nicht mehr der Knüller des Monats für die Skandalpresse war. Sie konnten nach Paris fliegen und dort ein Auto mieten. Sie würde sich in ihrem Sitz zurücklehnen und die Augen schließen und Alex fahren lassen, wohin er wollte. Es würde guttun, hier wegzukommen.
Im Schlafzimmer zog sie ihre Schuhe aus. Wieder rief sie:
»Alex?«, aber nur Stille antwortete ihr. Während sie ihr Kleid aufknöpfte, ging sie in den Flur hinaus und rief noch einmal seinen Namen. Dann fiel ihr ein, daß er um diese Zeit wie immer in einem seiner Restaurants sein würde. Sie selbst war ja um diese Zeit normalerweise niemals zu Hause. Es war zweifellos alles in Ordnung, auch wenn ihr das Haus unnatürlich still vorkam. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, daß der Stille etwas Atemloses anhaftete, als warteten die leeren Räume gespannt darauf, daß sie etwas entdecken würde ... Was denn? fragte sie sich. Und woher kam diese innere Gewißheit, daß etwas nicht stimmte?
Nerven, dachte sie. Nichts als Nerven. Sie war durch die Hölle gegangen. Sie brauchte jetzt dringend ein Bad. Sie brauchte ein Glas Wein.
Sie schlüpfte aus ihrem Kleid und ließ es einfach zu Boden fallen. Sie trat zum Kleiderschrank, um ihren Morgenrock herauszuholen. Sie öffnete seine Türen. Und da sprang es ihr entgegen. Mit einem Schlag erkannte sie, was die Stille ihr hatte sagen wollen.
Seine Kleider waren weg: jedes Hemd, jedes Jackett, jede Hose, jedes einzelne Paar Schuhe. Alles weg. Nicht ein Fädchen oder Fussel war zurückgeblieben, das bezeugt hätte, daß die leere Kleiderstange, die Fächer und Regale bis vor kurzem noch benutzt worden waren.
In der Kommode sah es nicht anders aus. Und auch nicht auf dem Nachttisch, im Badezimmer, im Toilettenschrank und im Apothekerschränkchen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie lange er gebraucht hatte, um jede Spur seiner Person aus dem Haus zu entfernen. Aber genau das hatte ihr Mann getan.
Sie vergewisserte sich, indem sie im Arbeitszimmer, im Wohnzimmer und in der Küche nachsah. Alles, was seine Anwesenheit in diesem Haus - und in ihrem Leben -bezeugt hatte, war verschwunden.
Schwein, dachte sie. Gemeines Schwein. Wie gut er den Moment gewählt hatte! Gab es eine bessere Möglichkeit, ihr das Messer in den Leib zu stoßen, als zu warten, bis er ihre öffentliche Demütigung vollenden konnte? Denn es gab keinen Zweifel daran, daß diese Aasgeier, die in der Marylebone Street auf Beute lauerten, ihn mit dem vollgepackten Volvo hatten wegfahren sehen. Und jetzt warteten sie nur noch darauf, diesen Moment, da ihr Leben endgültig vernichtet war, zu vermarkten.
Schwein, dachte sie wieder. Dieses dreckige Schwein. Er war den Weg des geringsten Widerstands gegangen und hatte sich wie ein erbärmlicher kleiner Junge davongeschlichen, als sie nicht dagewesen war, um Fragen zu stellen und Antworten zu verlangen. Er hatte es sich leichtgemacht: packen und abhauen. Mit den Journalisten konnte sie sich herumschlagen. Sie hörte sie schon fragen: Ist das eine offizielle Trennung? Hat der Auszug Ihres Mannes in irgendeiner Weise mit den Enthüllungen Dennis Luxfords von heute morgen zu tun? Wußte er vor dem Bericht in der heutigen Source von Ihrer Beziehung zu Mr. Luxford? Hat sich Ihre Einstellung zur Heiligkeit der Ehe in den letzten zwölf Stunden geändert? Steht eine Scheidung bevor? Möchten Sie eine Erklärung dazu abgeben, was - O ja, dachte Eve. Ich habe eine Menge Erklärungen abzugeben. Aber nicht an die Presse.
Sie kehrte ins Schlafzimmer zurück und kleidete sich eilig an. Sie zog sich die Lippen nach. Sie kämmte sich das Haar und strich die Augenbrauen mit dem Finger glatt. Dann ging sie in die Küche hinunter, wo der Kalender hing. Unter
Weitere Kostenlose Bücher