08 - Im Angesicht des Feindes
sein, wenn bekannt wird, daß eine meiner Schülerinnen nach ihrer Stunde bei mir verschwunden ist. Ich würde es vorziehen, wenn so etwas nicht passieren würde. Ich führe hier ein ruhiges Leben, und es wäre mir recht, wenn es so bliebe.«
Das konnte St. James verstehen. Chambers' Existenz stand auf dem Spiel, und ihre Anwesenheit und ihre Fraugen nach Charlotte zeigten zweifellos, wie leicht ihm die Zügel entgleiten könnten.
Dennoch schien ihm seine Reaktion auf ihre Anwesenheit extrem.
Er machte Chambers darauf aufmerksam, daß Charlottes Entführer - natürlich immer vorausgesetzt, sie war tatsächlich entführt worden und hielt sich nicht irgendwo bei einer Freundin versteckt - den Weg, den sie regelmäßig von der Schule zu ihrer Musikstunde und von dort nach Hause nahm, gekannt haben mußte.
Chambers stimmte zu. Aber die Schule sei nur einen Katzensprung von seinem Haus entfernt, und es gebe nur einen Zugang zur Siedlung - den, den auch St. James und Helen genommen hatten -, es wäre also keine zeitaufwendige Aufgabe gewesen, Lotties Weg auszukundschaften.
»Ist Ihnen jemand aufgefallen, der sich hier in den letzten Tagen herumgetrieben hat?« fragte St. James.
Man sah Chambers an, daß er gern bejaht hätte, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Aber er sagte, nein, kein Mensch. Natürlich, fuhr er mit einem Schimmer von Hoffnung fort, gingen hier im Viertel ständig Polizisten auf Streife - sie seien kaum zu übersehen -, und ab und zu verirrte sich auch ein Tourist hierher, der irgendwo falsch abgebogen war und statt im Regent's Park in Marylebone lande. Aber außer ihnen und den Leuten, die man zu sehen erwartete, wie den Briefträger, die Müllmänner und die Arbeiter, die mittags im Prince Albert Pub saßen, habe er niemanden bemerkt. Andererseits käme er nicht viel hinaus, es wäre deshalb vielleicht gut, wenn Mr. St. James bei den Nachbarn fragen würde. Jemand müsse doch etwas gesehen haben, oder? Ein Kind könne doch nicht einfach verschwinden, ohne daß jemandem etwas auffiel. Wenn Lottie wirklich verschwunden sei. Denn es sei ja gut möglich, daß sie bei Breta sei. Es könne durchaus einer von Bretas Streichen sein.
»Aber das ist doch noch nicht alles, nicht wahr, Mr. Chambers?« meinte Helen sanft und teilnehmend. »Gibt es da nicht noch etwas, was Sie uns sagen möchten?«
Er sah von ihr zu St. James, und St. James sagte: »Es ist jemand bei Ihnen im Haus, nicht wahr? Eine Person, die Sie schnell nach oben gebracht haben, als wir kamen.«
Damien Chambers wurde blutrot. »Das hat mit dieser Sache nichts zu tun«, antwortete er. »Ehrlich.«
Ihr Name sei Rachel, erklärte er leise. Rachel Mountbatten. Keine Verwandtschaft natürlich. Sie war Geigerin bei den Philharmonikern. Sie kannten einander seit Monaten. Heute abend waren sie nach dem Konzert zusammen essen gegangen. Er hatte sie zu einem Glas Wein in seine Wohnung eingeladen. Sie war gern mitgekommen, und als er mit ihr nach oben gehen wollte ... es war das erstemal, daß sie einander so nahe gekommen waren. Er wollte, daß alles ganz vollkommen würde. Und dann hatten sie an seine Tür geklopft. Und jetzt das.
»Rachel ist ... na ja, sie ist nicht frei«, erklärte er. »Sie glaubte, es wäre ihr Mann, als Sie klopften. Soll ich sie herunterholen? Ich würde es lieber nicht tun. Das würde zwischen uns wahrscheinlich alles verpfuschen. Aber ich hole sie, wenn Sie es möchten. Aber«, fuhr er fort, »ich würde sie niemals als Alibi benutzen, wenn es soweit kommen sollte. Ich meine, wenn ein Alibi nötig werden sollte. Das wäre nicht fein, oder?«
Eben Rachels wegen, fuhr er fort, würde er bei dieser Geschichte mit Lottie lieber im Hintergrund bleiben. Er wisse, das klinge herzlos, und es sei keinesfalls so, daß er sich keine Sorgen um das kleine Ding mache, aber die Beziehung zu Rachel sei ihm sehr wichtig ... Er hoffte, sie verstünden das.
Auf dem Rückweg zu St. James' Wagen sagte Helen: »Das wird ja immer merkwürdiger, Simon. Mit der Mutter stimmt was nicht. Mit Chambers stimmt was nicht. Benützt man uns vielleicht nur?«
»Wozu?«
»Das weiß ich auch nicht.« Sie setzte sich in den MG und wartete, bis er ebenfalls eingestiegen war und den Motor angelassen hatte, ehe sie fortfuhr: »Keiner verhält sich so, wie ich es erwarten würde. Eve Bowen, deren Tochter spurlos verschwunden ist, lehnt es ab, die Polizei einzuschalten, obwohl sie dank ihrer Position im Innenministerium die besten Leute von Scotland
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