08 - Im Angesicht des Feindes
Yard mobil machen und dafür sorgen könnte, daß nichts publik wird. Dennis Luxford, der eigentlich ganz wild darauf sein sollte, der Story nachzugehen, möchte nichts damit zu tun haben. Damien Chambers hat oben im Schlafzimmer seine Geliebte sitzen - und ich wette, er dachte gar nicht daran, sie uns vorzuführen - und hat eine Heidenangst davor, mit dem Verschwinden eines zehnjährigen Kindes in Verbindung gebracht zu werden. Wenn die Kleine wirklich verschwunden ist. Vielleicht stimmt das ja gar nicht. Vielleicht weiß jeder einzelne von diesen Leuten, wo Charlotte ist. Vielleicht war Eve Bowen deshalb so gelassen und Damien Chambers deshalb so nervös, wo man von beiden doch genau das Gegenteil erwarten würde.«
St. James fuhr in Richtung Wigmore Street und weiter zum Hyde Park, ohne etwas zu sagen.
»Du wolltest diese Sache nicht übernehmen, stimmt's?« fragte Helen.
»Ich habe auf diesem Gebiet keine Erfahrung, Helen. Ich bin Gerichtswissenschaftler und kein Privatdetektiv. Liefere mir ein paar Blutflecken und Fingerabdrücke, und ich gebe dir ein halbes Dutzend Antworten auf deine Fragen. Aber hier schwimme ich.«
»Warum hast du dann ...« Sie sah ihn forschend an. Er spürte, wie sie mit dem ihr eigenen Scharfsinn in seinem Gesicht las.
»Deborah«, sagte sie.
»Ich habe ihr versprochen, mit Eve Bowen zu reden, mehr nicht. Ich habe ihr gesagt, ich würde sie drängen, die Polizei hinzuzuziehen.«
»Das hast du auch getan«, erklärte Helen. Sie manövrierten sich durch das Gewühl am Marble Arch und bogen in die Park Lane mit ihren strahlend erleuchteten Hotels ein. »Und wie soll's jetzt weitergehen?«
»Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder machen wir selbst weiter, bis Eve Bowen klein beigibt, oder wir schalten sofort Scotland Yard ein, auch ohne ihre Zustimmung.« Er wandte einen Moment den Blick von der Straße, um sie anzusehen.
»Ich brauche dir nicht zu sagen, wie leicht letzteres wäre.«
Sie sah ihn ruhig an. »Laß mich überlegen.«
Sobald hinter Helen die Haustür zufiel, streifte sie die Schuhe von den Füßen. »Gott sei Dank«, flüsterte sie aufatmend, von den Qualen befreit, die sie um des modischen Schicks willen auf sich genommen hatte. Sie hob die Schuhe auf und trottete müde über den Marmorboden der Eingangshalle zur Treppe, die zu ihrer Wohnung hinaufführte, sechs Zimmer in der ersten Etage eines spätviktorianischen Hauses. Ihr Wohnzimmer ging auf die Grünanlage des Onslow Square in South Kensington hinaus. Dort brannte, wie sie von der Straße aus gesehen hatte, Licht. Da sie sich genau erinnern konnte, es am Morgen, bevor sie zu Simon ins Labor gegangen war, gar nicht angeknipst zu haben, konnte das nur bedeuten, daß sie Besuch hatte. Nur einer konnte es sein.
Den Schlüssel schon in der Hand, zögerte sie vor der Wohnungstür. Simons Worte gingen ihr durch den Kopf. Ja, wie leicht wäre es, Scotland Yard ohne Eve Bowens Wissen oder Zustimmung einzuschalten, zumal in diesem Moment ein Inspector der Kriminalpolizei hinter der schweren Eichentür auf sie wartete.
Ein einziges Wort zu Tommy, mehr brauchte es nicht. Er würde dann alles in die Hand nehmen. Er würde dafür sorgen, daß die entsprechenden Maßnahmen getroffen wurden: Man würde jeden, der auch nur im entferntesten mit der Staatssekretärin, dem Chefredakteur der Source und ihrer gemeinsamen Tochter zu tun hatte, gründlich überprüfen; eine akribische Analyse der beiden Entführerschreiben vornehmen; ein Heer von Beamten auf die Straßen von Marylebone loslassen, um mögliche Zeugen zum Verschwinden des kleinen Mädchens ausfindig zu machen und das ganze Viertel Zentimeter um Zentimeter nach Spuren abzusuchen, die Aufschluß darüber geben würden, was Charlotte Bowen zugestoßen war. Man würde Fingerabdrücke sichern und sie an den Erkennungsdienst weiterleiten. Man würde Beschreibungen von Charlotte in den Polizeicomputer eingeben. Man würde dem Fall oberste Priorität einräumen und ihn den besten Leuten übergeben, die man zur Verfügung hatte. Tommy würde wahrscheinlich gar nichts damit zu tun haben. Ohne Zweifel würde man die Ermittlungsleitung Leuten anvertrauen, die im Yard mehr zu sagen hatten als er. Man würde ihm den Fall aus der Hand nehmen, sobald man hörte, daß es sich bei dem vermutlich entführten Kind um die Tochter von Eve Bowen handelte.
Und das bedeutete natürlich, daß das Yard den bewährten Weg einschlagen würde. Und das bedeutete, daß die Medien informiert
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