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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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wirkten durchaus echt, aber St. James war sich im klaren darüber, daß seine Stärke die Auswertung von Beweismaterial war und nicht die Beurteilung von Zeugen und möglichen Verdächtigen. Er lenkte das Gespräch wieder auf den morgendlichen Schulweg und bat die Haushälterin zu versuchen, sich an jeden auf der Straße zu erinnern, der Charlotte vielleicht beobachtet hatte, der irgendwie nicht ins alltägliche Bild zu passen schien.
    Sie starrte einen Moment in den Besteckkasten, ehe sie antwortete. Ihr sei niemand aufgefallen, erklärte sie schließlich. Aber sie gingen ja auch die Hauptstraße entlang, und da seien immer eine Menge Leute unterwegs. Lieferanten, Angestellte auf dem Weg zur Arbeit, Geschäftsleute, die ihre Läden aufmachten, Jogger und Fahrradfahrer, Leute, die zum Bus oder zur Untergrundbahn eilten. Nein, ihr sei nichts aufgefallen. Sie hätte nie darauf geachtet. Sie habe Charlie im Auge behalten, damit das Kind keine Dummheiten machte und pünktlich zur Schule käme. Sie dächte dabei über die Arbeit nach, die auf sie wartete, überlegte sich, was sie Charlie zum Essen machen wollte und ... Gott möge ihr vergeben, daß sie nicht Obacht gegeben hatte, daß sie die Augen nicht offengehalten hatte, um das Werk des Teufels zu erkennen, daß sie auf ihre kleine Charlie nicht so aufgepaßt hatte, wie sie es hätte tun sollen, wofür man sie bezahlte, wobei man ihr vertraute, wie ...
    Mrs. Maguire ließ Silber und Putztuch fallen. Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und schneuzte sich geräuschvoll. Dann sagte sie: »Herr gib, daß ihr kein Haar auf dem Kopf gekrümmt wird. Wir wollen versuchen, dein Wirken in dieser Geschichte zu erkennen. Und eines Tages werden wir auch den tieferen Sinn deiner Wege begreifen.«
    St. James fragte sich, wo jenseits des Grauens dieser Entführung ein Sinn sein sollte. Die Religion, fand er, konnte die Geheimnisse, die unglaublichen Grausamkeiten und die Ungereimtheiten des Lebens nicht erklären. Er sagte: »Vor ihrem Verschwinden war Charlotte anscheinend mit einem anderen kleinen Mädchen zusammen. Was können Sie mir über ein Mädchen namens Breta sagen?«
    »Nicht viel und kaum was Gutes. Die Kleine ist ein wildes Ding. Sie kommt aus einer zerrütteten Familie. Nach dem, was ich von Charlie so gehört habe, geht die Mutter anscheinend lieber in die Disco zum Tanzen, als Breta an die Kandare zu nehmen. Die ist gar nicht gut für Charlie, die Kleine.«
    »Sie sagen, sie ist wild. Inwiefern?«
    »Na, sie hat nichts als Dummheiten im Kopf. Und dauernd will sie Charlie zum Mitmachen verführen.« Breta sei eine richtige kleine Gaunerin, erklärte Mrs. Maguire. Sie stehle Süßigkeiten in den Läden in der Baker Street. Sie schleiche sich ohne Eintrittskarte in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett. Sie schmiere überall in der Untergrundbahn die Anfangsbuchstaben ihres Namens an die Wände.
    »Ist sie eine Schulkameradin von Charlotte?«
    Mrs. Maguire bejahte. Charlies ganzer Tag sei von Mrs. Bowen und Mr. Stone so streng eingeteilt, daß sie außer in der Schule gar keine Gelegenheit habe, Freundschaften zu schließen. »Wann sonst hätte sie denn Zeit, mit ihr zusammenzusein?« fragte Mrs. Maguire. Sie selbst, fuhr Mrs. Maguire auf St. James' Fragen fort, wisse den Nachnamen des Mädchens nicht, habe das Kind auch noch nie zu Gesicht bekommen, aber sie gehe jede Wette ein, daß die Eltern Ausländer seien. »Und von der Sozialhilfe leben«, fügte sie hinzu. »Die ganze Nacht tanzen und den ganzen Tag verschlafen und sich dann auch noch, ohne rot zu werden, von der Regierung unterstützen lassen!«
    St. James fand diesen neuen Aspekt von Charlotte Bowens Leben seltsam und irritierend. Seine eigenen Eltern hatten die Namen, Adressen, Telefonnummern und vermutlich die Blutgruppen all seiner Kindheitsfreunde und der dazugehörigen Eltern gekannt. Wenn er sich über ihre strenge Zensur beschwert hatte, pflegte seine Mutter zu sagen, es gehöre zu ihrer Pflicht als Eltern, auf seinen Umgang genauestens zu achten. Aber wie sahen eigentlich Eve Bowen und Alexander Stone ihre Elternpflicht?
    Mrs. Maguire schien seine Gedanken zu lesen. Sie sagte nämlich: »Charlie hat immer was vor, Mr. St. James. Dafür sorgt Mrs. Bowen. Montags nach der Schule hat das Kind Tanzstunde, am Dienstag geht sie zur Therapie, am Mittwoch zur Musikstunde und donnerstags ist nachmittags in der Schule Sport. Freitags geht sie immer direkt nach der Schule zu ihrer Mutter ins Bezirksbüro. Sie

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