08 - Im Angesicht des Feindes
an. Sie sah aus wie ein Clown, als sie wieder ins Klassenzimmer kam, aber genau das hatte sie natürlich gewollt. Im Zirkus ist doch immer der Clown die Hauptattraktion, habe ich recht?« Schwester Agnetis hielt inne, um in den Tiefen ihrer Tasche auf Schatzsuche zu gehen. Sie zog ein zerknülltes Papiertuch hervor, das sie kurz auf beide Mundwinkel drückte, in denen sich während ihrer Rede Speichel gesammelt hatte. »Sie ist nicht fähig, länger als eine Viertelstunde in ihrer Bank zu bleiben. Entweder blättert sie in den Büchern oder sie stochert im Hamsterkäfig herum oder sie schüttelt die Kollekteschachteln -«
»Kollekteschachteln?«
»Geld für die Missionen«, erklärte Schwester Agnetis kurz und setzte ihren Gedankengang gleich wieder fort. »Sie wollte unbedingt Klassensprecherin werden, und als die Mädchen eine andere wählten, wurde sie richtiggehend hysterisch und konnte für den Rest des Nachmittags nicht am Unterricht teilnehmen. Sie hält weder bei sich selbst noch bei ihrer Arbeit auf Sauberkeit, sie befolgt nur die Regeln, die ihr passen, und in der Religionsstunde verkündet sie fast jedesmal, sie sei nicht katholisch und sollte darum nicht gezwungen werden teilzunehmen. Aber das hat man eben davon, wenn man Nichtkatholiken in die Schule aufnimmt. Mich geht es ja nichts an. Wir sind schließlich hier, um der Gemeinde zu dienen.«
Sie steckte das Papiertuch wieder ein und stellte sich wie vorher Schwester Mary mit gefalteten Händen in Positur. Als St. James einen Moment schwieg, um über das Gehörte nachzudenken und es einzuordnen, fügte sie hinzu: »Sie halten mich wahrscheinlich für hart in meinem Urteil über das Mädchen. Aber ich bin sicher, ihre Mutter würde Ihnen gern bestätigen, wie schwierig die Kleine ist. Sie war mehr als einmal zum Gespräch hier.«
»Mrs. Bowen?«
»Ich habe erst Mittwoch abend vor einer Woche wegen der Geschichte mit den Kosmetika mit ihr gesprochen, und ich kann Ihnen versichern, daß sie das Kind streng bestraft hat - sie mußte bestraft werden, schließlich hatte sie einfach die Sachen ihrer Mutter mitgenommen. Ohne um Erlaubnis zu fragen.«
»Und wie wurde sie bestraft?«
Schwester Agnetis breitete zum Zeichen, daß sie das nicht wisse, die Hände aus. »Ganz gleich, was für eine Strafe sie bekam, sie hat ausgereicht, um das Kind für den Rest der Woche zu dämpfen. Am Montag war sie natürlich schon wieder ganz die alte.«
»Also schwierig?«
»Wie ich schon sagte, ganz die alte.«
»Vielleicht wird Charlotte von ihren Klassenkameradinnen dazu angestachelt, über die Stränge zu schlagen«, meinte St. James.
Schwester Agnetis empfand das als einen Affront. »Ich bin bekannt für die Disziplin in meinen Klassen, Sir«, sagte sie.
St. James bemühte sich sogleich, sie zu beschwichtigen. »Ich meinte damit eine Freundin von Charlotte hier an der Schule. Es ist gut möglich, daß sie weiß, wo Charlotte sich aufhält. Oder daß sie wenigstens auf dem Heimweg von der Schule etwas bemerkt hat, was uns bei der Suche weiterhelfen könnte. Mit diesem Mädchen würde ich gern einmal sprechen. Sie heißt Breta.«
»Breta?« Schwester Agnetis zog die spärlichen Überreste ihrer Augenbrauen zusammen. Sie trat zu dem kleinen Fenster in der Tür zum Klassenzimmer und spähte hinein, als suchte sie nach dem Kind. »In meiner Klasse gibt es kein Mädchen, das Breta heißt«, sagte sie.
»Es ist vermutlich ein Spitzname«, meinte St. James.
Zurück zum Fenster. Neuerliche Musterung der Klasse.
»Sanpaolo vielleicht. Brittany Sanpaolo.«
»Kann ich mit ihr sprechen?«
Schwester Agnetis holte das Mädchen, eine mürrisch wirkende Zehnjährige, deren Uniform an dem dicklichen Körper spannte. Sie trug ihr Haar zu kurz für das volle runde Gesicht, und wenn sie sprach, blinkte die Zahnspange in ihrem Mund.
Sie ließ keinen Zweifel an ihrer Einstellung zu Charlotte.
»Lottie Bowen?« fragte sie ungläubig. Sie fuhr fort, wobei sie die S-Laute zischend hervorstieß: »Die ist nicht meine Freundin. Ganz bestimmt nicht. Die ist doch zum Kotzen.« Mit einem hastigen Blick auf Schwester Agnetis fügte sie hinzu: »Oh, tut mir leid, Schwester.«
»Das sollte es auch«, sagte Schwester Agnetis. »Beantworte die Fragen des Herrn.«
Brittany konnte St. James nicht viel erzählen, und was sie erzählte, kam auf eine Weise heraus, als hätte sie seit dem ersten Schuljahr auf eine Gelegenheit gewartet, ihren Unmut über Charlotte loszuwerden. Lottie Bowen machte
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