08 - Old Surehand II
Alarmschüsse das Zeichen zur allgemeinen Aufmerksamkeit.
Der neue Befehlshaber des ‚l'Horrible‘ hatte sich auf das Quarterdeck begeben. Der lange Tom stand an seiner Seite.
„Horch, Tom, sie haben bemerkt, daß wir uns davonmachen!“ sage er.
Der Angeredete warf einen forschenden Blick empor zu den sich von dem Himmel hervorhebenden Segeltüchern.
„Wird ihnen nichts helfen. Sie haben die Augen zu spät aufgetan. Aber – Ihr kennt meinen Namen, Sir?“
„Ich dachte, der ‚Schwarze Kapitän‘ müßte ihn doch kennen; bist ja mit mir genugsam herumgesegelt.“
„Der ‚Schwarze Kapitän‘ – mit Euch? Nichts für ungut, Sir, ein tüchtiger Offizier seid Ihr, das habe ich schon in der kurzen Zeit bemerkt, aber der Schwarze, der seid Ihr nicht, den kenne ich.“
„Pah, ich werde es aber sein.“
„Wird nicht gut gehen. Die Leute wollen nur unter ihm dienen, und der Rotmalige, ich meine den Agenten, der uns angeworben hat, versprach uns ja, daß er noch lebe und heut Abend am Deck sein werde.“
„Der Rotmalige? Hast du ihn wirklich nicht erkannt?“
„Erkannt –? Ihn –? Habe den Kerl in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!“
„Tausendmal schon, Tom; tausendmal, sage ich, hast du ihn oder vielmehr sie gesehen. Besinne dich!“
„Ihn –? Sie –? Donnerwetter, sie – sie –? Sollte – es die ‚Miß Admiral‘ gewesen sein!“
„Sie war es. Und glaubst du nicht, daß sie ganz das Zeug hat, den ‚Schwarzen Kapitän‘ zu spielen?“
Der Lange trat überrascht einige Schritte zurück.
„Alle Wetter, Sir – Miß, wollte ich sagen, das ist ja eine ganz außerordentliche Geschichte. Ich denke, Ihr seid aufgehangen worden, als die Rotjacken den ‚l'Horrible‘ nahmen!“
„Nicht ganz. Aber höre: du bist an Bord der einzige, der den Kapitän wirklich kennt; du verschweigst, daß ich und der Agent einer und derselbe sind, und läßt sie dabei, daß ich der Schwarze bin. Verstehst du?“
„Vollständig!“
„Nun? Du sollst dich wohl nicht schlecht dabei stehen.“
„Hm, mir ist es egal, ob ein Sir oder eine Miß das Kommando führt, wenn es nur immer eine gute Prise gibt. Ihr könnt Euch auf mich verlassen.“
„Gut. Doch schau, die Lichter im Hafen und auf der Reede werden lebendig. Man schickt sich zur Verfolgung an. Pah, in zwei Stunden sind wir ihnen, selbst bei hellem Tag, aus den Augen.“
Er ließ alle Leinwand aufziehen, so daß das auf der Seite liegende Schiff mit verdoppelter Geschwindigkeit die Wogen teilte, und hing sich mit dem Arm in die Wantensprossen, um die lange entbehrte Genugtuung, den famosen Segler unter den Füßen zu haben, in vollen Zügen zu genießen.
Erst als der Tag zu grauen begann und seine Anwesenheit an Deck nicht mehr notwendig war, stieg er herab und schritt zur Kajüte. Dort stand sein Koffer. Eine Lampe brannte.
„Hm“, machte er, sich mit sichtlicher Befriedigung in dem netten Raum umsehend, „der Jenner ist so übel nicht, wie ich dachte; er hat sich hier ganz prächtig eingerichtet. Doch, ich muß vor allen Dingen sehen, ob mein geheimes Fach noch vorhanden ist, von dem selbst Sanders nichts wußte.“
Er schob einen Spiegel beiseite und drückte auf ein dahinter befindliches und kaum sichtbares Knöpfchen. Ein Doppeltürchen sprang auf und ließ eine Vertiefung bemerken, in welcher allerlei Papiere aufgeschichtet lagen. Er griff nach ihnen.
„Wahrhaftig alles unberührt! Das Versteck ist gut; ich werde es sofort wieder benutzen.“
Er zog einen Schlüssel hervor und öffnete den Koffer. Ein Fach desselben enthielt nichts als Geldrollen und Pakete Banknoten.
Er barg es in das Versteck, verschloß dieses dann und schob den Spiegel wieder vor. Dann entnahm er dem Koffer allerlei Wäsche und Kleidungsstücke, welche in dem Kajütenschrank Platz fanden, und zog dann dieselben kostbaren nautischen Instrumente hervor, welche Lieutenant Jenner bei der Frau de Voulettre gefunden hatte.
„Wenn dieser Lieutenant gewußt hätte, weshalb seine schöne Dame sich mit diesen ‚langweiligen‘ Dingen befaßte! Bei allen Heiligen, es ist der beste Coup meines Lebens, den ich heut ausgeführt habe, und ich möchte nur wissen, was Sanders dazu sagte, wenn er hier stände und –“
„Er sagt Bravo“, ertönte es hinter ihr, während sich eine Hand auf ihre Schulter legte.
Entsetzt fuhr sie herum und starrte mit weit aufgerissenen Augen in das Gesicht des soeben Genannten.
„Sa – Sa – Sanders!“ stammelte sie
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