0805 - Krallenhand
mir hoch. »Habe ich richtig gehört? Nicht tun? Nicht verschwinden?«
»So ist es.«
»Das musst du mir erklären.« Sie strich mit den Händen durch ihr Haar. Allmählich kehrte wieder Farbe in ihr Gesicht zurück. Die Schrecken hatte sie überstanden.
Ich setzte mich neben sie auf die Holzbohlen. »Weißt du Glenda, ich kann mir vorstellen, dass sie Rache wollen. Mutter und Kind können nicht aufgeben, das passt einfach nicht zu ihnen. Sie müssen sich dagegen wehren, sie können sich doch keine Niederlage eingestehen. So etwas wäre schrecklich. Damit hätten sie zugegeben, dass Menschen besser sind als sie. Nein, wir stehen auf ihrer Liste, wenn wir hier in Harrings-on-sea bleiben. Das habe ich zumindest vor.«
»Ich ebenfalls«, murmelte Glenda, »denn allein Fiona Finley bin ich das schuldig.«
»Moment, Fiona. Was ist…?«
Glenda ließ mich nicht aussprechen. »Sie ist tot.« Meine Sekretärin schüttelte sich. »Fiona liegt nicht einmal weit von hier. Vanessa hat sie mit ihrer Mörderhand erwischt. Ich weiß nicht, was sie mit ihr getan hat. Aber sie muss ihr das Leben ausgesaugt haben, die Seele, den feinstofflichen Motor, was immer du willst. Fionas Kraft steckt jetzt in ihr, und sie sorgt dafür, dass aus einem Bewohner oder Besucher des Grenzlandes wieder ein Mensch wird.« Sie schlug leicht gegen ihre Stirn. »Kannst du dir das vorstellen, John?«
»Nur schwer.«
»Ich habe darüber nachgedacht«, flüsterte Glenda. »Zu einem Ergebnis kam ich nicht. Es ist für mich nicht zu begreifen. Ich drehe da nicht durch, aber…«
»Lass es lieber sein. So etwas wirst du immer erleben, wenn du dich mit derartigen Fällen beschäftigst.«
Sie griff nach meiner Hand und hielt sie fest. »Ja, das denke ich auch. In diesem Fall bist du der Fachmann, nicht ich. Deshalb darf ich noch staunen.«
»Das ist mir auch noch nicht vergangen, Glenda.« Ich streckte die Beine aus. »Da ist noch etwas.«
»Und?«
»Abgesehen davon, dass die Hurts mit der Krallenhand und ihrer Tochter unter einer Decke steckten, es gibt auch eine Familie, deren Söhne dich beobachtet haben, als du…«
»Natürlich. Die beiden Kerle… was ist mit ihnen?«
»Ich habe sie ausgeschaltet.«
Glenda lächelte mich etwas zögernd an. »Du hast sie doch nicht etwa…?«
»Sie schlafen.«
»Das ist gut.«
»Und ihren Vater, der auch zu dieser Gruppe gehört, den habe ich gefesselt.«
»Dann haben wir ja freie Bahn«, erklärte Glenda. Sie wollte nicht mehr sitzen und stand auf.
Auch ich erhob mich. Das Haus gefiel mir nicht. Ich wollte nicht mehr länger bleiben. Es war zwar hell und nicht düster wie ein altes Gemäuer, doch die Atmosphäre ging mir gegen den Strich. Hier war etwas Unmenschliches in der Nähe. Ein Schatten des Bösen hatte uns erwischt und hing über uns wie eine Fahne. Bei jedem Schritt »meldeten« sich die Holzbohlen, als lägen unter ihnen irgendwelche Geister begraben.
»Du glaubst gar nicht, John, wie froh ich bin, hier wegzukommen«, flüsterte Glenda.
»Doch, das kann ich nachvollziehen.« Vor der Haustür war ich stehen geblieben. Im Gegensatz zum hellen Anstrich der Tür war sie dunkel. Ich probierte, ob sie sich mittlerweile öffnen ließ. Das war nicht der Fall. Durch die waren Vanessa und das Kind nicht verschwunden. Es musste demnach noch einen anderen Ausgang geben. Sie konnten auch ein Fenster eingeschlagen haben, und uns blieb nichts anderes übrig, als das Haus durch das zerstörte Fenster zu verlassen.
Ich kletterte als Erster hindurch. Dann half ich Glenda hinaus, die neben mir zu Boden sprang. Sie hielt meine Hände noch fest. Ihr Gesicht strahlte förmlich, und ich wusste, was kam und wehrte mich nicht.
Weiche Arme umklammerten meinen Hals. Ein noch leicht zitternder Körper drängte sich gegen mich, dann trafen mich ihre Lippen, die so herrlich voll und so angenehm weich waren, und in den nächsten Augenblicken vergaß ich Vanessa, vergaß ihre Tochter, ja, ich vergaß eigentlich alles, was mit diesem verdammten Fall zusammenhing, und Glendas raffiniertes Zungenspiel bewies mir, dass sie mehr wollte.
»Nicht jetzt, das könnte böse enden…«
»Ich weiß.« Sie holte tief Luft. Ihr Gesicht war gerötet. »Aber die Zeit läuft uns ja nicht weg.«
»Das denke ich auch.«
Glenda Perkins atmete tief durch. »Jetzt geht es mir besser«, sagte sie, um einen Moment später zu lachen. »Das ist fast wie im Kino. Der Retter kam, die Gerettete bedankte sich. Hätte beinahe aus einem Drehbuch
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