0806 - Der Voodoo-Club
sie Bilder und Szenen sahen, die für ein Menschenauge normalerweise nicht wahrnehmbar waren.
»Holt es!« stieß Roberta hervor. »Holt es her. Ich… ich will es haben. Es muß jetzt beginnen, jetzt!«
Mona und Claire erhoben sich. Sie faßten sich an den Händen, als müßten sie sich gegenseitig Halt geben. Dann gingen sie auf einen bestimmten Ort zu, der in einer kleinen, mit Gras und Moos aufgefüllten Mulde lag. Genau dort hatten sie das Gefäß abgestellt, das für alle so wichtig war.
Es sah aus wie eine übergroße Vase mit Deckel sowie Griffen an den Seiten.
Die Frauen rutschten über die Ränder der Mulde und blieben neben dem Gefäß stehen. Sie schauten noch einmal dorthin, wo sie es abstellen sollten.
Dieser Punkt sah aus, als wäre er von der übrigen Umgebung abgekapselt worden. Das flackernde Kerzenlicht schuf ein weiches Tuch. Hin und wieder erreichte es auch einige Grabsteine, an denen es hoch glitt und dafür sorgte, daß in das bleiche Weiß so etwas wie Leben kam. Die Ruinen der Kirche standen im Hintergrund wie dunkle Blöcke. Keine fremden Geräusche durchbrachen die Kirche.
Sie waren ganz unter sich.
Mona nickte Claire zu. Beide verstanden sich und hoben das Gefäß mit einem Ruck an.
Es war schwer, und sie schafften es keuchend aus der Mulde. Der Weg führte sie zurück zum Altar. Dort stand Roberta noch immer in ihrer ursprünglichen Haltung. Sie hielten die beiden Hähne fest, deren Köpfe nach unten baumelten. Ihr weißes Gefieder sah aus wie pappiger Schnee.
Roberta trat zurück, als ihre beiden Freundinnen mit der Last in ihre Nähe gerieten. Vor dem Altar stellten sie das Gefäß ab.
»Der Deckel muß weg!«
Claire hob ihn und legte ihn zur Seite.
Roberta lächelte, sie fühlte sich wohl. Ohne die Hähne loszulassen, beugte sie sich nach vorn und schaute in die Öffnung. Im Licht der Kerzen konnte die Frau erkennen, daß dort unten etwas lag.
Es gab einen öligen Glanz ab, es war kompakt – ein menschliches Herz.
Das Herz ihres Vaters!
***
Zwar hatte ich mir die Strecke auf dem Stadtplan eingezeichnet, dennoch gab es für uns Schwierigkeiten, den alten Kreolenfriedhof zu finden. Wir verloren uns in dem Straßenwirrwarr von Port-au-Prince, denn wir mußten wegen zahlreicher Baustellen und Absperrungen einige Umwege fahren. Irgendwann saßen wir wütend fest, weil wir uns verfahren hatten.
Wir mußten uns durchfragen.
Mittlerweile war relativ viel Zeit vergangen. Die äußerliche Umgebung erlebte die Veränderungen. Es war dunkler geworden, und erste laue Abendwinde wehten bereits über die Stadt. Der Himmel zeigte keine Wolke. Er glühte in zahlreichen Rotfarben, und über dem tropischen Regenwald stiegen dünne Dunstwolken hoch. Der Dschungel begann zu dampfen.
In der Stadt herrschte eine irrsinnige Hektik, von der wir uns nicht anstecken ließen. Wir kamen relativ gut voran und waren froh, die Außenbezirke zu erreichen.
Ich fand mich auch auf dem Stadtplan wieder zurecht, und Suko knüppelte den Leihwagen nach meinen Angaben voran.
Wir gerieten in den Bereich der Zuckerrohrplantagen. Dort waren die Straßen zwar auch nur Pisten, und der aufgewirbelte Staub machte uns zu schaffen, aber es gab wenigstens eine Perspektive.
An einem weißen Haus hielten wir an. Es war so etwas wie eine Kneipe und ein kleines Restaurant. Man konnte im Freien sitzen, trinken und essen, was auch einige Gäste taten.
Wir wurden mißtrauisch beäugt, als wir uns auf der lehnenlosen Rückbank niederließen und Zitronenwasser bestellten. Einen verschwitzten Weißen, der in unserer Nähe saß und an seiner Havanna nuckelte, sprach ich an.
Er war Amerikaner, wie er mir sagte und lebte schon lange auf der Insel. Er arbeitete auf einer Plantage als Vorarbeiter, wollte den Job noch ein Jahr machen und sich dann etwas anderes suchen.
»Dann kennen Sie sich hier aus.«
»Das kann ich dir sagen.«
»Wir haben uns verfahren.«
Er grinste mich an. Um seine Augen herum bestand die Haut nur mehr aus Falten. »So etwas kann leicht passieren, wenn man fremd auf der Insel ist. Wo wollt ihr denn hin?«
»Wir suchen einen Friedhof«, sagte Suko.
»Ach – toll. Wollt ihr euch begraben lassen?«
»Das nicht gerade, aber man hat uns von einem alten Kreolenfriedhof berichtet, der sehr interessant sein soll.«
Der Vorarbeiter paffte dicke Wolken. Er holte tief Luft, schaute zum Himmel und fragte: »Tatsächlich?«
»Ja, was ist daran schlimm?«
»Gar nichts. Nur frage ich mich, was zwei Weiße
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