0810 - Stirb in einer anderen Welt
Nicole hatte keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln.
Wie aber hatte Zamorra dann verschwinden können? Welche Macht hatte hier eingegriffen? Er selbst würde den Vorgang kaum ausgelöst haben. Er hatte ja die Regenbogenblumen benutzen wollen. Auch wenn es im Château der Spiegelwelt keine gab, unten an der Loire existierten sie. Von dort aus musste er dann zusehen, dass er das Château so schnell wie möglich erreichte und eindrang.
Sie ging davon aus, dass er sich irgendwie ein Auto besorgte - oder auch ein Taxi, je nachdem, was möglich war.
Wie lange mochte es dauern, bis er das Château erreichte? Eine halbe Stunde? Vielleicht ein paar Minuten mehr. So lange hatte sie Zeit, dann noch ein paar Minuten, bis er seinen Doppelgänger erreichte und dessen Amulett abschaltete - dann konnte sie ihm in die Spiegelwelt folgen, und er würde sein Amulett einfach zu sich rufen . Bis sie selbst im Château ankam, war möglicherweise bereits alles erledigt.
Trotzdem rechnete sie mit Schwierigkeiten. Zamorra war kein Killer. Sie war nicht sicher, ob er seinen Vorsatz, den negativen Doppelgänger zu töten, ausführen konnte. Und der war auch ohne Amulett noch gefährlich.
Sie würde wohl direkt eingreifen müssen. Zumal es ja auch noch ihre Doppelgängerin gab, sowie einige skrupellose Männer, die dem Bösen geradezu sklavisch gehorchten.
Zamorras Plan gefiel ihr immer noch nicht; ganz und gar nicht. Es gab zu viele Risiken und Unwägbarkeiten.
Mal ganz abgesehen von dem Rätsel, weshalb er direkt neben ihr verschwunden war. Sie spürte da eine Art Kanal durch die Dimensionen, aber sie war nicht in der Lage, ihn zu betreten und Zamorra zu folgen. Sie wurde von einer unsichtbaren Sperre davon abgedrängt.
»Was soll ich tun?«, fragte sie sich.
Noch blieb ihr etwas Zeit zum Überlegen.
Noch…
***
Währenddessen raste in der Spiegelwelt der BMW der Negativ-Nicole in Richtung Château Montagne. Zamorra hatte Duval gerade noch genug Zeit gelassen, den Autoschlüssel mitzunehmen. Zum Ankleiden reichte es nicht mehr. Die Negative zeterte und protestierte noch während der Fahrt, aber Zamorra ließ alles an sich abprallen. »Gib Gas, verdammt!«, war das Einzige, was er forderte. »Vollgas! Fahr so schnell wie noch nie in deinem Leben!«
Zamorra verzichtete darauf, sich selbst ans Lenkrad zu setzen. Er fuhr zwar selbst BMW, aber die große Limousine. Das Fahrverhalten des Cabrios war ganz anders, noch dynamischer, kurvenfreudiger. Außerdem war die Instrumentierung erheblich moderner. Da überließ er das Fahren lieber der Besitzerin des Wagens und störte sich nicht daran, dass sie nackt hinter dem Lenkrad saß.
Ein weiterer Grund, sie fahren zu lassen, war eine eventuelle Verkehrskontrolle. Immerhin waren sie mit einem Tempo weit jenseits des Erlaubten unterwegs. Bei einer Kontrolle rechnete Zamorra mit der totalen Überraschung der Flics , die hübsche Nackte am Lenkrad zu sehen. Das konnte er vielleicht für sich ausnutzen.
Die etwas über 50 Kilometer legten sie in Rekordzeit zurück. Um diese Stunde waren nur wenige andere Verkehrsteilnehmer unterwegs; Duval brauchte also nur selten abzubremsen. Außer natürlich in zu scharfen Kurven.
Immer wieder musste Zamorra an seine Nicole denken. Hoffentlich machte die keine Dummheiten. Am besten war es, wenn sie sich ganz normal an den bisherigen Plan hielt, auch wenn Zamorra durch eine andere Kraft in diese Welt versetzt worden war.
Duval jagte den Wagen bereits die Serpentinenstraße hinauf.
»Er wird mich umbringen«, keuchte sie.
»Und ich ihn«, sagte Zamorra kalt.
»Was hilft mir das, wenn ich tot bin?«, schrie sie ihn an und ließ den 3er fast querkant durch eine scharfe Kurve driften. Zamorra musste neidlos anerkennen, dass sie mit dem Wagen umgehen konnte wie ein ausgebuffter Rallyefahrer. Vielleicht hätte sie sogar den legendären Walter Röhrl deklassieren können, dem man nachsagte, man könne ihn in jedes beliebige Auto setzen und er würde damit jede Rallye gewinnen.
»Warum sollte mein Double dich umbringen wollen?«, erkundigte er sich. »Ihr seid doch vom gleichen Schlag.«
»Du ahnungsloser Engel«, stieß sie hervor. »Du weißt doch nichts, absolut nichts…«
»Mach mich doch schlau!«, verlangte er.
»Wozu? Er wird dich so oder so umbringen«, fauchte Duval. Sie ließ den Wagen jetzt endlich etwas langsamer rollen und fuhr durch das Tor in den Vorhof. »Du hast keine Chance.«
»Das haben schon viele gesagt, und ich lebe immernoch.
Weitere Kostenlose Bücher