0814 - Der geheimnisvolle Engel
die Unsichtbaren, den kleinen Drachen Fooly und tausend Dinge mehr, die sein Leben ausgemacht hatten. Er fühlte die Schwäche in seinen Beinen. Nur mit Mühe und eisernem Willen hielt er sich noch aufrecht. Gleich war es vorbei. Diesem Monstrum waren sie nicht gewachsen. Einmal war es soweit, das war ihm immer klar gewesen. Denn seine und Nicoles Unsterblichkeit war eben nur relativ.
Schön, dass ich mit dir zusammen sterben darf, dachte er voller Zärtlichkeit und drückte seine Lebens- und Kampfgefährtin, die er abgöttisch liebte, fest an sich. »Ich… liebe dich«, hauchte er ihr mit der wenigen Kraft, zu der er noch fähig war, ins Ohr.
In diesem Moment passierte das, was schon ewig lange nicht mehr geschehen war.
Das grüne Abwehrleuchten floss blitzschnell zu Nicole hin und vereinigte sich mit ihr. Zamorras Kampfgefährtin war urplötzlich verschwunden. Statt ihrer erhob sich eine blendend helle Feuersäule neben dem Dämonenjäger, deren Licht eiskalt war. Das FLAMMENSCHWERT war entstanden, jene noch nicht erforschte Verschmelzung von Nicole und Amulett zu der furchtbarsten Waffe, die Zamorra bisher kennen gelernt hatte. Kein bekannter Gegner hatte ihm bisher widerstehen können.
Das FLAMMENSCHWERT drehte sich wie eine Windhose in sich selbst, nicht starr, sondern überaus beweglich. Es bog sich in »Hüfthöhe« durch und streckte sich gleich darauf nach oben. Als ob es leben würde. Und das tat es wahrscheinlich auch. Wie ein Irrwisch raste es auf den fremden Dämon zu.
Der brüllte auf, stellte seine Angriffe sofort ein und floh zur Tür hinaus. Dabei war Marion von Altmühl, die das dämonische Bewusstsein in sich trug, so schnell, dass das FLAMMENSCHWERT nicht mehr hinterher kam. Als der Dämon weg war, fiel es wieder in sich zusammen. Eine bewusstlose Nicole lag auf dem Boden.
Zamorra ächzte und wollte zu ihr. Er schaffte es nicht mehr. Die Schwäche forderte ihren Tribut. Wo er stand, sank er nieder. Merlins Stern, den er die ganze Zeit über krampfhaft festgehalten hatte, entglitt seiner Hand und fiel ebenfalls zu Boden. Während des schrecklichen Abwehrkampfes hatte Zamorra sein Amulett höchstwahrscheinlich gerufen. Dadurch hatte es sich von der Halskette gelöst und war in seiner Hand materialisiert. Der Professor konnte sich nicht bewusst daran erinnern.
»Danke, Nicole«, röchelte er noch. Dann umfing ihn tiefste Finsternis.
***
Bruder Claudius hockte verstört in seinem Pensionszimmer in Gingst. Die Situation war ihm über den Kopf gewachsen. Er hatte den Lichtblitz ausgelöst und war danach voller Panik geflohen. Was nun?
Am liebsten wäre er im nahen Rügen-Park, in dem die wichtigsten Gebäude der Welt als Miniaturausgaben standen, spazieren gegangen, um den Kopf frei zu bekommen. Aber er traute sich nicht aus dem Zimmer. Was, wenn ihn die beiden Fremden an die Polizei verraten hatten? Wurde er nun bereits wegen versuchten Mordes gesucht? Und wenn ja, was sollte er jetzt tun?
Wer waren der Mann und die Frau überhaupt? Helfer des Dämons? Da sie ihn am Mord an der Prostituierten gehindert hatten, wäre das durchaus möglich. Oder doch nicht? Für die beiden, falls sie unbedarft waren, konnte es auch so ausgesehen haben, als wolle er eine ganz normale Frau ermorden. Aber warum hatten sie sie dann neulich im Klippenwald bei Kap Arkona verfolgt? Nun gut, das hätte auch einen völlig anderen Grund haben können, der mit der Sache hier direkt nichts zu tun hatte…
Bruder Claudius konnte die Sache drehen und wenden, wie er wollte, es passte nichts so recht zusammen. Es konnte nichts passen, da er noch zu wenig Informationen hatte. Er konnte also weder die Situation noch die beiden Fremden richtig einschätzen.
Der Zisterzienser seufzte. Um seiner wachsenden Verzweiflung Herr zu werden, bediente er sich kräftig aus der Zimmerbar, ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit. Geistigen Getränken war er zwar nicht ganz abhold, genoss sie normalerweise aber in Maßen. Langsam stiegen ihm die drei »Willis« zu Kopf. Sein Sinn wurde trotzdem nicht heiter und beschwingt.
Er starrte zum Fenster hinaus. Jeden Moment erwartete er, ein Polizeiauto um die Ecke biegen zu sehen. Aber das war natürlich Unsinn. Die Fremden kannten ihn nicht und wussten nicht, wo er wohnte. Oder doch?
Bruder Claudius tigerte ins Bad. Er ließ die Wanne voll laufen und gab wohlriechende Badeessenz dazu. Auch der mittlerweile fünfte »Willi« nahm ihm seine Unruhe nicht. Vielleicht konnte das ja ein Vollbad.
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