0814 - Mister Amok
haben das ja alles ausgemacht.«
»Aber nicht so.«
»Doch, es ist dein Festtag.« Allmählich fühlte sie sich besser. Die Erinnerung an das Auftauchen der Hexe verschwand allmählich.
Aber frei und froh konnte sie nicht sein. Nach wie vor stand sie unter Spannung, großen Hunger hatte sie folglich nicht. Sie würde nur wenig essen, das stand fest, und sie konnte nur hoffen, dass ihr Sohn den nötigen Appetit mitbrachte.
Luigi servierte die Vorspeise. Er hatte von Amy erfahren, was Jake gern aß. Das Menü setzte sich dabei ausschließlich aus Pizzen und Pasta zusammen. Als er den ersten kleinen Teller mit den Nudeln hinstellte, zuckte Jake zurück. Mit einer etwas größeren Portion hatte er schon gerechnet.
Amy musste über den enttäuschten Blick des Jungen lachen. »Keine Bange, Jake, das ist erst der Beginn. Du wirst schon zufrieden sein. Luigi servierte die verschiedenen Nudelgerichte nacheinander.«
»Ach so.«
In der folgenden Stunde beschäftigten sich Mutter und Sohn allein mit dem Menü. Es gab ja nicht nur Nudeln, zwischendurch wurden immer wieder kleine Pizzen serviert, und jede von ihnen war anders belegt. Amy Lester hatte bis zu diesem Tag nicht gewusst, wie viel ihr Sohn essen konnte. Was er hier verdrückte, ließ sie nur staunen.
Nach dem vierten Nudelgericht und der dritten Pizza beugte sich Jake zu seiner Mutter hin. Er sprach so leise, dass es dieanderen Gäste nicht hören konnten. »Gibt es denn noch Nachtisch?«
»Bestimmt.«
»Oh, was denn?«
»Das ist auch eine Überraschung.«
Plötzlich küsste Jake seine Mutter. »Super, so ein toller Geburtstag! Damit hätte ich nicht gerechnet.«
Amy nahm ihren Sohn in die Arme. Ihr Herz klopfte schneller, die Kehle saß zu.
Dann aber versteifte sie.
Die Frau saß so, dass ihr Blick auf die Tür fallen konnte. Dort sah sie eine Bewegung.
Jemand war gekommen. Kein Erwachsener, sondern ein Kind, ein Junge. Er betrat das Lokal nicht, sondern blieb in der offenen Tür stehen, hinter sich das helle Licht des Mittags.
Amy Lester kannte ihn nicht, und sie kannte ihn trotzdem.
Das war nicht Jake, auch wenn er so aussah.
Das war Jory, sein Zwilling!
***
Zuerst die Hexe, jetzt er. Am liebsten hätte sie geschrien, all ihren Schrecken hinausgebrüllt, aber sie war nicht in der Lage, auch nur einen Ton abzugeben.
Wie versteinert hockte sie auf ihrem Platz und hielt nach wie vor ihren Sohn im Arm.
An der Tür stand der zweite.
Es gab keine Täuschung, es stimmte, es musste einfach Jory sein.
Eine derartige Übereinstimmung war nur einmal möglich. Das war auch kein Doppelgänger, diese beiden Jungen waren von den Zehen bis hin zur Stirn identisch.
Und doch gab es Unterschiede.
Wahrscheinlich hätte sie kein Fremder herausfinden können, aber sie als Mutter bemerkte diese schon.
Es lag an den Augen.
Jorys Augen waren nicht die ihres Sohnes Jake. Sie waren so kalt, ohne Gefühl, als wären sie völlig ohne Leben. Sie waren so grau, geschliffen, ansonsten aber glichen sich die beiden aufs Haar.
Sekunden verdichteten sich zu Minuten. Jory grinste, er hob den rechten Arm, um zu winken, dann trat er mit einem kleinen Schritt zurück, drehte sich um und ging weg.
Amy Lester stöhnte auf. Durch ihren Körper rannen Zitterstöße.
Für einen Moment hatte sie den Eindruck, weit, ganz weit weg zu sein. Bis sie die Stimme ihres Sohnes hörte.
»Mummy, was hast du denn?«
»Ich…?«
»Ja, Mummy, da ist doch…«
»Nichts habe ich, nichts.«
Jake hatte sich wieder normal hingesetzt. Plötzlich war sein Interesse an der Mahlzeit verloren. Er schaute nur seine Mutter an, deren Gesicht so bleich geworden war. Auf ihrer Haut lagen kleine Schweißperlen, in den Augen funkelte die Angst.
»Kann ich dir nicht helfen, Mum?«
»Nein.«
Zum Glück kam Luigi. Er klatschte in beide Hände und verdrehte die Augen. »Himmel, ihr Lieben, was muss ich sehen? Es hat euch wohl nicht mehr geschmeckt?«
»Doch, aber…«
»Mrs. Lester, sagen Sie nicht, dass Ihr Sohn mein Essen nicht mehr schafft. Ich habe mir so große Mühe gegeben. Es kommt noch ein Nudelgericht. Erst danach werde ich das Dessert servieren. Das beste Tiramisu der Welt, und anschließend ein wunderbares Eis. Aber Sie, Signora Lester, sehen aus, als wäre Ihnen der Schreck bis tief in den Magen gefahren. Stimmt etwas nicht?«
»Wie man’s nimmt.«
»Was haben Sie für Sorgen?«
Sie musste über ihren eigenen Schatten springen. »Hören Sie zu, Luigi. Haben Sie zufällig vorhin zur Tür
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