0818 - Lilith, der Teufel und ich
Sinclair. Es gibt hier Gesetze. Ich bin nur Oberkommissar und kein Haftrichter. Ich kann es einfach nicht riskieren, einen Verhafteten so mir nichts dir nichts laufen zu lassen. Das müssten auch Sie einsehen, Herr Sinclair.«
Ich nickte.
»Dann ist es gut.«
»Ich könnte natürlich mit übergeordneten Stellen sprechen. Oder hätten Sie etwas dagegen?«
Ludwig Gericke holte tief Luft. »Ist es Ihnen so wichtig, diesen Mann freizubekommen?«
»Mehr als das.«
»Es wird nicht möglich sein. Es gibt keinen Zweifel an seiner Schuld. Der Mord fand unter Zeugen statt. Sie müssen sich schon eine andere Lösung einfallen lassen.«
»Sie sind sehr stur«, sagte Suko.
Gericke fuhr herum. »Überhaupt nicht. Aber ich muss mich an die Gesetze halten. Wenn die Öffentlichkeit erfährt, was wir hier getan haben, bin ich meinen Job los, und ich könnte den Verantwortlichen nicht einmal einen Vorwurf machen.«
Aus seiner Sicht hatte er Recht. Ich hätte wohl nicht anders gehandelt. Um jedoch an den Tränenbecher heranzukommen, war Harry Stahl die beste Möglichkeit, denn gegen einen Pakt mit dem Teufel wehrte ich mich noch immer.
»Keine Chance?« fragte ich.
»So nicht.«
Ich drehte mich zu Harry Stahl. Er hockte neben mir, hielt den Kopf gesenkt und starrte auf den Zellenboden. Er wirkte wie ein normaler Mensch. Eswar ihm nicht anzusehen, dass er unter den Einfluss einer dämonischen Macht geraten war. Seine Lippen zuckten, er knetete die Hände.
»Okay«, sagte ich und schlug Harry auf die Schulter. »Wir werden alles daransetzen, um dich hier herauszuholen.«
Der Kommissar nickte. Er schaute nicht auf, und Gerickes skeptischer Blick sagte mir, dass er auf keinen Fall daran glaubte.
Ich wollte es trotzdem versuchen, und dabei musste mir Sir James helfen. Seine Beziehungen reichten weit. Vielleicht konnte er sich dafür einsetzen, dass hier eine Ausnahmesituation geschaffen wurde. Viel Hoffnung hatte ich nicht.
Suko hatte lange geschwiegen. Nun mischte er sich ein. »Ich denke, wir Sollten Harry Stahl hier nicht allein in der Zelle zurücklassen. Es könnten sich einige Dinge wiederholen und…«
Gericke unterbrach Suko. »Wie stellen Sie sich das vor, Inspektor? Sollen wir ihn verlegen? Mit anderen in einen Raum zusammenstecken?«
»Nein, nein, darauf will ich nicht hinaus. Mir geht es um etwas anderes. Es wäre nicht schlecht, wenn jemand bei ihm bleibt. Ich würde mich da gern zur Verfügung stellen.«
»Hier in der Zelle?«
»Ja.« Suko lächelte süffisant. »Oder widerspricht das den Vorschriften, Herr Gericke?«
Der Oberkommissar wand sich. »Was heißt hier Vorschriften? Das ist eine Einzelzelle und…«
»Ich bin ebenfalls Polizist, Herr Gericke. Es ist nicht so, als würden sie irgendeinen Menschen bei dem Verdächtigen lassen. Ich möchte auf ihn aufpassen.«
»Was ist, wenn es schief geht?«
Suko tat erstaunt. »Was soll denn schief gehen? Ich habe doch keinen Schlüssel, um ausbrechen zu können. Und das Gitter vor dem Fenster kann ich auch nicht zersägen. Da machen Sie sich grundlos Sorgen.«
Ich hielt mich bewusst aus diesem Gespräch heraus. Sukos Ansichten waren mir längst klar. Er wollte Harry nicht aus den Augen lassen, weil er mit einer Rückkehr der Dämonin Lilith rechnete.
Dass er sich damit in Gefahr begab, war ihm ebenfalls klar. Schließlich war auch er in den Kreislauf der Lilith hineingeraten, wenn auch nicht so stark wie Harry Stahl. Ich empfand es als verdammt risikoreich, was Suko da vorhatte, allein weil die Gefahr bestand, dass auch er in Liliths Machteinfluss geriet, und dann vielleicht stärker als beim ersten Mal.
Ludwig Gericke befand sich in der Zwickmühle, was ihm überhaupt nicht gefiel. Wieder seufzte er schwer, bevor er sich an mich wandte und mir den schwarzen Peter zuschob. »Wie ist denn Ihre Meinung zu diesem Vorschlag?«
Wir mussten weiterkommen, außerdem war Suko kein heuriger Hase. Etwas gleichgültig hob ich die Schultern. »Ich weiß nicht so recht, aber im Prinzip habe ich nichts dagegen. Es ist schon besser, wenn Harry unter Kontrolle steht.«
Suko nickte. Nur mir fiel sein feines Lächeln an den Mundwinkeln auf.
»Tja, Herr Sinclair. Ich könnte zustimmen, falls es nicht zu lange dauert, Sie verstehen.«
»Natürlich. Inzwischen werde ich versuchen, eine Haftentlassung zu erreichen.«
»Haben Sie Ihren Plan noch immer nicht aufgegeben?«
»Nein. Denn ich weiß, dass bei ungewöhnlichen Fällen auch ungewöhnliche Wege beschritten werden
Weitere Kostenlose Bücher