0819 - Der Tod des Heiligen
Henker, ich hatte Angst, und sie war es auch, die alles in mir zusammendrückte.
Ich fiel, ich raste…
Die Erde hatte sich geöffnet, der Fall war irrsinnig schnell, obwohl er mir gleichzeitig langsam vorkam, vielleicht deshalb, weil so zahlreiche Gedanken durch mein Hirn rasten, die ich nicht in die Reihe bringen konnte.
Ich fiel…
Irgend etwas sauste an mir vorbei. War es Luft, waren es die Stimmen, die ich angeblich gehört hatte? Ich wußte nichts mehr, ich konnte nur hoffen, mich nicht geirrt zu haben.
Auf einmal durchbrach ich eine Sperre. Sie war nicht zu sehen, nur von mir zu fühlen gewesen. Der Hügel hatte seine Tiefe verloren, das transzendentale Tor hatte sich geöffnet, ich war hineingefallen, und die Dunkelheit wich einem düsteren Farbenspiel.
Schon während des Falls hatte ich den Eindruck gehabt, trotz allem mit den Füßen auf dem Boden zu stehen. Diesmal jedoch stand ich. Unter mir spürte ich einen harten Widerstand, war etwas benommen und wartete ab, bis diese Benommenheit gewichen war.
Dann schaute ich hoch.
Da waren weder eine Luke noch ein Bill Conolly über mir. Die andere Zeit hatte mich geschluckt. Nun kam es darauf an, ob ich mich verkalkuliert hatte oder nicht…
***
Bill Conolly erstickte beinahe an seiner Hilflosigkeit und Wut. Er hatte seine Haltung verändert und kniete jetzt direkt neben der Luke, beide Hände um den Rand geklammert. Den Oberkörper hatte er nach vorn gedrückt, den Kopf ebenfalls, denn nur so konnte er in die Tiefe des Schachts hineinschauen, in den sein Freund John Sinclair hineingesprungen war. Obwohl Bill damit gerechnet hatte, war er von der Plötzlichkeit doch überrascht worden.
John war einen Schritt mit dem rechten Fuß nach vorn gegangen und urplötzlich weggesackt. Er hatte sich einmalig in der Gewalt gehabt, nicht einmal geschrien und auch nicht in einem Reflex die Arme in die Höhe gerissen.
Dann war er gefallen.
Wie ein Stein hatte ihn die Tiefe gefressen. Bill versuchte verzweifelt, ihm mit den Blicken zu folgen. Er wollte ihn sehen, er wollte auch erkennen können, wo der Geisterjäger aufschlug, das aber war nicht zu sehen. Der Reporter sah die Gestalt zwar kleiner werden, und dann hatte er das Gefühl, als wäre sie an eine Grenze geraten oder an eine Tür, die sich blitzartig geöffnet hatte, um den Körper zu verschlucken.
John war nicht mehr da.
Weg - wie aufgelöst!
Bill spürte den Kloß im Hals und beinahe Tränen in den Augen. Er wollte seinem Freund etwas nachschreien, mußte aber selbst feststellen, daß er nicht mehr als ein Flüstern hervorbrachte.
So hockte er wie festgeklebt vor der Luke und starrte in den tiefen, dunklen Schacht.
Ein Tunnel ohne Wiederkehr.
Er stöhnte auf, als er sich zurückdrückte, die Arme hob und die Hände gegen seine Wangen legte. Im Kopf spürte er die Stiche, er kam sich plötzlich so einsam und verloren vor, während er auf den Knien zurückrutschte, noch immer knien blieb und sich auch in dieser Haltung drehte.
Draußen hatte sich nichts an der Szenerie verändert. Auch weiterhin hielten die Pilger das große Grabmal umkreist. Sie standen da wie menschliche Säulen. Bill schaute in ihre Gesichter, die ihm so fremd vorkamen, wahrscheinlich auch deshalb, weil das Glas das Licht brach, und aus den Gesichtern Fratzen schuf.
Schiefe Münder, zur Seite gedrückte Nasen. Manche Köpfe sahen in die Länge gezogen aus, andere wiederum waren breit, als hätte er sie durch einen Zerrspiegel gesehen.
Nein, ihm wurde nichts vorgegaukelt, es waren noch immer die gleichen Personen, die sich dort aufhielten, aber die Kraft des Heiligen schien sie durchdrungen zu haben.
Bill wollte aufstehen. Ihm fiel auf, daß er die goldene Pistole aus der Hand gelegt hatte. Sie war nicht golden, sie sah nur so aus. Man konnte sie mit einer klobigen Wasserpistole vergleichen, zudem war sie auch durchsichtig, und Bill sah die Flüssigkeit in ihrem Innern schwappen. Sie hatte eine Mündung, einen Abzug und an der Unterseite so etwas wie einen Beutel, in dem kleine Pfeile steckten.
Wenn Bill einen bestimmten Knopf drückte, löste sich einer der Pfeile und zerstörte die tödliche Blase.
Er setzte die Waffe nicht gern ein, eben weil sie ultimativ war.
Doch wenn es um sein Leben ging, dann mußte er schießen, und er versuchte dabei immer wieder, nicht auf Menschen zu schießen.
Von zahlreichen Augen beobachtet stand er etwas schwankend da und schaute auf die Pistole in seinen Händen. Er steckte sie weg. Mit
Weitere Kostenlose Bücher