082 - Niemand hört dich schreien
Folterknecht wollte sie beide überwältigen und in die Folterkammer des Hexers bringen.
Bald würden ihre Schreie durch das düstere Gewölbe gellen. Es würde wieder so sein wie früher. Nichts hatte sich geändert. Schmerz und Pein erwartete die Opfer in der Schreckenskammer, aus der es kein Entrinnen gab.
Für die Hölle!
Zum Ruhme des Hexers, der sich so gern als Bruder des Teufels bezeichnete…
Gespannt beobachtete der Unhold die beiden Mädchen. Er kannte keine Autos, die hatte es früher nicht gegeben, aber er hatte keine Angst vor diesem Vehikel, das sich aus eigener Kraft fortzubewegen vermochte, als würde sich ein geheimnisvoller Zauber darin befinden. Es gab überhaupt nichts, wovor er sich fürchtete. Das war früher schon so gewesen, und nun brauchte er sich um seine Sicherheit erst recht nicht mehr zu sorgen, denn in der langen Zeit, die vergangen war, hatte er alles Irdische abgelegt und seine Sterblichkeit verloren. Schwarze Kräfte hatten ihn beseelt und beherrschten ihn heute. Welcher Mensch hatte dieser Kraft schon etwas entgegenzusetzen?
Der Folterknecht griff zum Messer.
Langsam zog er es aus dem Gürtel, und dann trat er hinter dem Baum hervor.
***
»Laß den Wagen wieder runter«, verlangte Vicky Bonney von Jubilee. »Mir ist hier auch nicht wohl in meiner Haut.«
»Nicht wahr, hier stimmt irgend etwas nicht«, flüsterte Jubilee. »Zuerst dachte ich, ich würde mir nur etwas einbilden, aber wenn du es auch spürst…«
»Mach schnell«, sagte Vicky und blickte die Straße beunruhigt hinauf und hinunter. »Und dann nichts wie rein in den Wagen. In Autos ist man relativ sicher. Merk dir das für die Zukunft. Solltest du mal in eine brenzlige Situation geraten und die Möglichkeit haben, dich in ein Auto einzuschließen, dann tu es.«
Jubilee drehte die Kurbel nach der anderen Seite, und der Audi senkte sich mit einem leisen Ächzen. Als der Wagen auf seinen vier intakten Rädern stand, zog Jubilee den Wagenheber hervor.
»All das müßte auf Coor erst erfunden werden«, sagte sie, während Vicky Bonney den kaputten Reifen versorgte.
Plötzlich brach ein Ast. Es hörte sich an wie ein Schuß. Die beiden Mädchen wirbelten herum und erblickten einen großen kraftstrotzenden Kerl, der nicht in ihre Zeit paßte.
»Wie sieht der denn aus?« quetschte Jubilee zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor.
»Auf jeden Fall furchterregend«, gab Vicky heiser zurück. »Er sieht aus, als wäre er aus der Vergangenheit irrtümlich in die Gegenwart geraten.« Sie griff nach Jubilees Handgelenk, wich zurück und zog das junge Mädchen mit sich.
Der Folterknecht stieß sich kraftvoll ab und erreichte mit einem weiten Satz die Straße. Es knirschte laut unter seinen Schaftstiefeln, als er sich den Mädchen in drohender Haltung näherte.
»Los, Jubilee, steig ein, schnell!«
»Ich hab noch den Wagenheber…«
»Nimm ihn mit oder laß ihn fallen. Er ist jetzt nicht wichtig. Du mußt in den Wagen!«
Jubilee trennte sich nicht vom Wagenheber. Das war jetzt kein Werkzeug mehr, sondern eine Waffe! Nervös tastete das junge Mädchen mit dem streichholzlangen braunen Haar nach dem Türgriff.
Inzwischen konzentrierte sich Vicky Bonney auf den Unhold mit dem Messer. Sie war in Karate ausgebildet. Das konnte der Kerl nicht wissen, deshalb hoffte die Schriftstellerin, ihn mit einem blitzschnellen Angriff überraschen zu können.
Sie machte sich nichts vor, sah die Situation realistisch. Dieser Mann, der wie ein mittelalterlicher Folterknecht gekleidet war, war wesentlich kräftiger als sie, und sie war nicht gerade eine kriegerische Amazone. Sie hatte nur gelernt zu kämpfen, um zu überleben, denn als Freundin eines Dämonenjägers war sie immer wieder mal das Ziel schwarzer Attacken.
Tony Ballard hatte sich sehr viel Mühe gegeben, ihr beizubringen, wie man sich verteidigte, und Vicky war eine aufmerksame, gelehrige Schülerin gewesen.
Sie hörte das Schnappen des Türschlosses, und sie dachte an ihre Handtasche, die sich im Audi befand. Sie bewahrte darin eine vierläufige Derringer-Pistole auf und drei magische Wurfsterne aus geweihtem Silber.
Waffen, mit denen sie sich gegen Höllenwesen verteidigen konnte. Aber kam dieser Folterknecht aus der Hölle?
Jubilee öffnete die Tür. Sie wollte einsteigen, doch das ließ der Kerl nicht zu. Blitzschnell handelte er. Sein Tritt rammte die Tür zu, Jubilee bekam einen Stoß und stürzte. Vicky Bonney kassierte einen schmerzhaften Schlag, und
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