0825 - Böse kleine Elena
aus. Zudem mussten wir die normale Hauptstraße verlassen und uns dem Ziel auf einem Nebenweg nähern.
Vor der hügeligen Umgebung sahen wir so gut wie nichts. Dafür fuhren wir des öfteren durch den Wald, der dann von freien Flächen abgelöst wurde. Bei klarer Sicht hätten wir sicherlich hin und wieder ein Gehöft sehen können, so aber entdeckten wir kaum einen Lichtschein, dafür aber verdichtete sich der Dunst, denn wir gerieten in die Nähe eines bekannten Flusses, der Elbe.
Auf der schmalen Straße glitten wir dahin. Schlaglöcher, Spurrillen und feuchtes Laub bildeten den Belag, und dadurch war das Fahren kein Vergnügen.
Die Tasche mit dem Schädel stand zwischen den Vorder- und Hintersitzen. Völlig normal, völlig ruhig, als bestünde ihr Inhalt aus Papieren oder Akten und nicht aus einem derartig makabren Gegenstand wie einem Totenkopf.
»Eigentlich haben wir noch Glück«, sagte Harry irgendwann mal. Ich musste ihn wohl erstaunt angeschaut haben, denn er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Kannst du dir den Grund nicht denken?«
»Nein.«
»In früheren Zeiten wimmelte es hier von Militär. Immer wieder Kontrollen. Das hat sich geändert. Wir wären mit dem Schädel kaum weitergekommen.«
»So gesehen hast du Recht.«
»Der Nebel wird bleiben, denke ich. Roudnice liegt ziemlich nahe an der Elbe. Frag mich nur nicht, ob es dort eine Brücke gibt, die über den Fluss führt, das weiß ich nämlich nicht. Ansonsten sind wir schon fast da.« Er deutete auf das Schild, das grau und verwittert an der rechten Straßenseite aufgetaucht war.
Auch die Umgebung war deutlicher zu erkennen, war aber noch immer von einer Dunstschicht bedeckt, in die die Abenddämmerung hineinsickerte.
Vor uns lag der Ort.
Der Fluss allerdings war nur zu erahnen. Er musste in der Ferne liegen und sich wie ein schmales Band durch die flache Gegend schlängeln. Wir sahen nur Wolken, entdeckten keine Vögel, die durch die Luft flogen, wir hörten auch keine Stimmen, obwohl wir die Seitenscheiben ein kleines Stück nach unten gekurbelt hatten. Alles wurde von diesem Dunst eingehüllt.
Lichter schimmerten als Flecken zu uns herüber. Das Licht der Laternen an den Straßen wirkte milchig. Die Häuser sahen grau aus, und sehr schwach, wie in den Nebel hineingepinselt, zeichnete sich der Turm einer Kirche ab. Harry Stahl nahm ihn als Fixpunkt. Er wollte dorthin und den Wagen dort abstellen, denn eine Kirche liegt eigentlich immer zentral.
Wie als Willkommensgruß hallte uns plötzlich das Geläut der Glocken entgegen. Es durchdrang den Dunst, wenn er auch nur gedämpft unsere Ohren erreichte. Auf Harrys Lippen stahl sich ein Lächeln. »Die schienen uns erwartet zu haben«, meinte er.
»Dagegen habe ich nichts.«
Im Licht der Scheinwerfer sahen wir Gestalten. Sie waren so schnell wieder verschwunden, dass wir nicht hatten erkennen können, ob es sich dabei um männliche oder weibliche Personen gehandelt hatte.
Harry steuerte die Kirche an und damit auch einen Kirchhof, der nicht durch ein Gitter abgetrennt war, sondern für uns einen idealen Parkplatz bildete.
Wir wollten nicht mehr den Fehler begehen und mit irgendeinem Menschen über unser Problem sprechen, sondern uns mit einer kompetenten Person in Verbindung setzen. Das war für uns der Pfarrer. Schon immer hatte die Kirche in Tschechien eine besondere Stellung eingenommen, auch wenn sie während der kommunistischen Zeit in den Untergrund getaucht war. Die Vertreter dieser Institution hatten viel erfahren, viel gewusst und auch so manchem Menschen helfen können, der in Schwierigkeiten geraten war.
Mit einem sanften Wippen stoppte der Opel. Harry schaute mich an.
»Willst du den Pfarrer gleich aufsuchen?«
»Ja, denn eine Messe scheint er nicht zu halten, obwohl es geläutet hat. Jedenfalls sehe ich keinen Menschen, die auf die Kirche zugehen. Die Geistlichen kennen sich hier aus. Sie wissen um die Geschichten, die hier im Ort passiert sind, und sie können schweigen, was ich in diesem Fall sehr hoffe.«
»Einverstanden.«
Gemeinsam stiegen wir aus. Der erste Schritt in die Kühle war schon ein Fehltritt, denn mit dem Absatz rutschte ich auf nassem Laub aus. Nur mit Mühe konnte ich mich fangen, stützte mich dabei am Wagendach ab und hörte plötzlich Harrys Fluch.
Ich stemmte mich wieder hoch, und da waren sie schon bei mir.
Sie mussten im Schatten der Kirche gelauert haben. Der Dunst hatte sie verschluckt, aber sie hatten die hellen Augen der
Weitere Kostenlose Bücher