0825 - Böse kleine Elena
Er senkte die Hand mit der Waffe so tief, dass die Mündung die Schläfe des Geistlichen berührte. Als Kabanek den kalten Druck spürte, erschauderte er.
»Eine Kugel reicht, und die Hälfte Ihres Schädels ist weg.«
»Ich weiß.«
»Sterben Sie so gern?«
Der Pfarrer brachte nur mühsam ein »Nein« über die Lippen, und Scott freute sich.
»Hast also doch Angst, du Pope, aber das spielt keine Rolle mehr. Ich werde dich erledigen und mich dann auf die Suche nach den beiden Kerlen machen.«
»Auch nach dem Körper Ihrer Tochter?«
»Was denken Sie?«
Kabanek sprach jetzt schneller. »Es könnte noch eine andere Möglichkeit geben, denke ich mal.«
»Tatsächlich? Welche denn?«
»Dass Elena lebt!« Zu viel gesagt, schoss es Kabanek durch den Kopf, denn der Waffendruck verstärkte sich, und er glaubte schon daran, dass die Kugel schräg in seinen Kopf fahren würde, so heftig war die Reaktion des Mannes ausgefallen.
Er fing sich jedoch wieder. »Noch mal, mein Freund, und ganz vorsichtig. Was hast du gesagt?«
»Elena lebt, ich weiß es.«
»Wo steckt sie?«
»Nicht weit von hier entfernt. Sie – sie hat all die Jahre überlebt und sich versteckt gehalten. Dieser Kopf – das ist nicht der ihre. Es ist ein anderer.«
»Ach ja? Wem gehört er denn?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber ich habe ihn gefunden. Nein, man hat ihn mir sogar gegeben. Man hat ihn mir gebracht. Zigeuner müssen es gewesen sein. Ich habe die Botschaft gelesen, die dabei lag. Aber ich will beides haben, den Kopf und den Körper.«
»Man hat Sie reingelegt. Das Spiel läuft anders. Jeder denkt, er hielte die Fäden in den Händen, jeder hat etwas Recht, aber nur etwas, nicht ganz.«
»Und wie läuft es wirklich?«
»Ich kann es Ihnen sagen.«
»Dann los.«
»Nicht hier.«
Scott lachte. »Du willst mich reinlegen, du sanfte Ratte. Du willst mich nur…«
»Nein, wir können die Wahrheit nur woanders finden. Begreifen Sie das endlich, verdammt noch mal.«
»Wo können oder wo werden wir sie denn finden?«
»Da, wo sich auch Elena aufhält…«
***
Eine etwas philosophische Beschreibung kam mir in den Sinn, als wir das Bootshaus an der Elbe erreicht hatten.
Ein Haus am Meridian der Einsamkeit.
Nichts bewegte sich in der Umgebung, der graue Strom ausgenommen, über dem die Dunstschwaden wie treibende, blasse Leichentücher lagen.
Sie hatten sich an den Wellen festgeklammert, Gespenster aus dem Reich der Schatten, unwirklich und doch so normal.
Normal war ebenfalls, dass wir das andere Ufer nicht erkennen konnten.
Es verschwamm im schwarzen Nebel der Nacht. Selbst das Rauschen des Flusses klang wie eine gedämpfte Musik.
Das Bootshaus befand sich hinter uns. Es hatte seinen Halt auf hohen Stelzen gefunden und trotzte noch immer den anrollenden Wellen und der Witterung. Es stand nicht direkt am Hauptstrom, sondern an einem schmalen Seitenarm, der sicherlich im heißen Sommer ausgetrocknet war.
Buschwerk und dichtes Gras wuchsen auf dem feuchten Boden, und die Kühle der Nacht ging allmählich in eine gewisse Kälte über, die schon an den nahen Winter gemahnte.
Harry Stahl rieb seine Hände und deutete anschließend nach vorn. »In diese Richtung müssen wir also.«
»Ja.«
Begeistert schaute er nicht aus. Wir hatten trotzdem Glück gehabt, denn der dichte Dunst vor uns war von leichten Windböen aufgewirbelt worden.
Es waren Löcher entstanden, und sie sahen beinahe so aus wie Tunnel. Von Entfernungen hatte der Pfarrer nicht gesprochen, wir konnten nur hoffen, dass keine zu große Strecke vor uns lag. Ich hatte die Aktentasche natürlich mitgenommen, und meine rechte Hand umklammerte den Bügel.
Es war kein Spaziergang, aber auch kein zu schwieriger Weg. Nebeneinander schritten wir her, beide beschäftigt mit unseren Gedanken, die sich nur um ein Thema drehten, worüber wir allerdings nie laut sprachen.
Mein Gefühl pendelte zwischen Hoffen und Bangen. Ich hoffte, das Mädchen zu finden und dass die böse kleine Elena so schlimm gar nicht war.
Allerdings bangte ich auch darum, dass meine Hoffnung enttäuscht werden könnte, und dies bereitete mir leichte Magenschmerzen.
Der Dunst griff nach uns. Es war überall. Manchmal trieb er vom Fluss her in großen Wolken gegen uns. Er strich dann über unsere Rücken und hüllte die Körper ein.
Der Atem vor unseren Lippen vermischte mit dem Nebel. Wir merkten, dass das Gelände nicht flach blieb. Beim Hinfahren war es uns kaum aufgefallen, nun aber ging es stetig
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