0829 - Die Hölle der Unsterblichen
gebieterisch.
Gasser öffnete die Augen wieder. Er musste sich vorhin getäuscht haben. Es war doch nicht nur ein Kopf, der auf unheimliche Weise hier aufgetaucht war.
Es war eine Frau. Eine betörend schöne Frau. Sie trug ein schwarzes Kleid mit dünnen Trägem, hatte ebenfalls schwarze, lange Haare. Doch sie war bleich - totenbleich. Die Haut ihres Gesichts und ihrer Arme leuchtete alabasterweiß.
Sofort wusste der Chefinspektor, dass er es bei ihr ebenfalls mit einer Vampirin zu tun hatte. Die Kreaturen der Finsternis waren für ihn mittlerweile zu einer festen Größe geworden.
»Lasst ab!«, forderte die Vampirin, und die drei Kreaturen lösten ihre Zähne aus den Hälsen ihrer Opfer, die wie Marionetten ohne Fäden in sich zusammenfielen. Die finsteren Wesen gingen rasch auf die neu angekommene Frau zu.
»Ihr seid schuldlos«, sagte diese zu den beiden männlichen Vampiren. Sie legte je eine ihrer Hände an deren Stirn.
Gasser sah, wie ein rotes Leuchten die Köpfe der Monstren umspielte, dann sanken sie zu Boden und rührten sich nicht mehr. Alles lief in gespenstischer Stille, in völliger Lautlosigkeit ab.
»Du ebenso«, wandte sich die Schwarzgekleidete danach an ihre Geschlechtsgenossin.
Mit geweiteten Augen verfolgte Gasser, wie sich das unheimliche Schauspiel wiederholte. Auch die Vampirin, die Philippe grausam ermordet hatte, starb, ohne einen Laut von sich zu geben.
Und jetzt ist die Reihe an mir , dachte der Chefinspektor. Er bedauerte es nicht einmal. Lieber wollte er sterben, als mit der Erinnerung an die letzten Minuten weiterzuleben.
»Es werden Menschen kommen«, sagte die Schwarzgekleidete an Gasser gewandt. »Sie werden Fragen stellen. Berichte ihnen von mir und sage ihnen, dass ich auf sie warte. Ihre Gräber sind bereits geschaufelt.« Sie trat näher an den Chefinspektor heran. »Ich lasse dir eine Botschaft aus Fleisch und Blut«, sagte sie und biss zu. »Zeige es ihnen«, sagte sie danach, während das Blut -sein Blut! - an ihrem Kinn herablief.
Der Augenblick des Schmerzes war bereits wieder vorbei.
Die Vampirin entfernte sich einige Schritte von ihm und verschwand auf ebenso geheimnisvolle Art, wie sie gekommen war.
Zurück blieb der fassungslose Leiter der Mordkommission. Gasser wankte aus der Kneipe heraus und saugte die frische Luft in seine Lungen. Er fasste sich an seinen Hals und fühlte das Blut, das dort aus der Bisswunde floss.
Warum hat sie das getan?, fragte er sich.
Und tief in seinem Innern stieg die Panik in ihm auf, und die Frage, ob er nun dazu verdammt war, selbst zum Vampir zu werden.
Dann rief er die Kollegen und meldete, was geschehen war. Niemand glaubte ihm, doch das war ihm völlig gleichgültig. Das Grauen über das Geschehene und die Angst um die Zukunft hielten ihn in ihrem Griff und verhinderten jede andere Emotion.
***
Vor dem Haus, in dem Jean-Marie Lamy wohnte folgte Sid Amos dem geheimnisvollen Mann, der sich als Henri Baudelaire vorgestellt hatte.
Er hatte in dem Fremden etwas erkannt… etwas, das ihm nur allzu bekannt war. Den Rest einer dämonischen Ausstrahlung. Sie kam nicht aus dem Menschen heraus - das hieß, es handelte sich bei ihm nicht um einen Dämon in menschlicher Tarngestalt.
Diesen Trick hätte aller Wahrscheinlichkeit Zamorras Amulett ohnehin durchschaut und mit einem Angriff auf den Mann begonnen, der sich Henri Baudelaire nannte. Zumal die Ausstrahlung zwar am Zurückgehen war, aber von Macht zeugte.
Von gewaltiger Macht!
Der ehemalige Höllenfürst hatte nicht sofort durchschaut, was geschehen war, doch jetzt war er sich sicher. Auch wenn es noch so unwahrscheinlich war -Baudelaire hatte vor kurzem Lucifuge Rofocale gegenübergestanden!
Und nicht nur das, er hatte geraume Zeit in der Gegenwart des Zweitmächtigsten in der Höllenhierarchie zugebracht. Darüber hinaus hatte der Ministerpräsident der Hölle den Menschen körperlich berührt. Dabei war etwas von seiner Aura auf Baudelaire übergegangen.
Amos verbarg sich geschickt vor den Blicken des Menschen. Die Wolken waren inzwischen dunkler geworden. Ein gewaltiges Gewitter stand unmittelbar bevor.
Baudelaire eilte an der Häuserfront entlang. Falls er in ein Auto stieg, würde es schwieriger werden, ihn zu verfolgen. Amos sah sich schon in ein Taxi steigen und die dämlichen Worte »Folgen Sie diesem Wagen!« rufen…
Der Verfolgte blieb plötzlich stehen und wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Merde, merde, merde!«, murmelte er vor sich
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