0837 - Aibon-Blut
John. Dann wirst du dich nur wundern.«
»Meinst du?«
»So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Ich hatte das Gefühl gehabt, in einem zur Realität gewordenen Märchen zu stehen. Das war alles zu phantastisch.«
Zuerst kam das Licht.
Dann das Wesen.
Mir kam es vor wie ein Gespenst. Ein großes Etwas, aufgedunsen und zugleich von einem Funken erfüllt, als hätte sich genau da ein Sternenhaufen zusammengefunden.
Aber die Gestalt veränderte sich. Sie wuchs, auch in die Breite, während der Rote Ryan noch immer spielte. Er begleitete die Veränderung dieses Wesens mit seiner Musik, als wollte er der feenhaften Gestalt damit die nötige Unterstützung gewähren.
Und dann war sie da.
Die Schöne auf dem Pferd, das mich für einen Moment anstarrte.
Die Augen kamen mir nur um eine Idee dunkler vor, als das helle Fell mit der flattrigen Mähne. Nur war es das nicht, was mich leicht aus der Fassung brachte. Dieses Pferd war im Prinzip keines, denn Ribana, die Schöne, hockte auf einem Fabeltier, einem Einhorn.
Ich konnte Harrys Überraschung gut nachvollziehen. Auch mir war es ähnlich ergangen, als ich zum erstenmal mit einem Einhorn konfrontiert worden war. Auch jetzt hatte es mir die Sprache verschlagen, ich hielt sogar den Atem an, allerdings nicht wegen des Eichhorns, sondern wegen Ribana, die etwas ausstrahlte, das ich spürte, aber nicht fassen konnte. Harry erging es ebenso. Er stand bei mir und schüttelte den Kopf, wobei er zusätzlich die Lippen bewegte, ohne daß jedoch ein einziges Wort über sie gekommen wäre.
Der Rote Ryan hatte sein Instrument wieder verschwinden lassen und war auf die Schöne mit den weißblonden Haaren zugegangen. Er reichte ihr die Hand, die sie gern nahm, dann half er ihr vom Einhorn.
Sie berührte leicht den Boden. Es sah so aus, als würde sie darüber hinwegschweben. Auch als sie Ryan umarmte, wirkten ihre Bewegungen fließend und wunderbar.
»Es ist ein Geist, dieses Wesen«, flüsterte der Detektiv. »Es ist eine Legende, die wahr wurde. Ich kann es nicht fassen. Es will mir nicht in den Kopf…«
»Abwarten.«
»Du traust ihr nicht?«
»Doch.«
»Dann sag mir bitte, was Ribana deiner Meinung nach ist.«
»Eine Fee, ein weiblicher Ritter oder Held. Sie ist einfach wunderbar für Ryan.«
»Ich denke, daß sie sich lieben.«
»Schon möglich.«
Beide standen dicht beisammen, und der Rote Ryan sprach leise auf sie ein. Wir verstanden kein Wort, seine Stimme erreichte uns nur als gezischeltes Flüstern.
Die Schöne aus Aibon nickte einige Male, als wollte sie dokumentieren, wie sehr sie einverstanden war, um letztendlich den Kopf zu drehen und auf mich zu schauen.
Ich hielt diesem Blick stand.
Es waren herrlich helle Augen. Trotz der Dunkelheit konnte ich die an Glas erinnernden Pupillen erkennen, als hätte sich in ihnen das Licht gefangen.
Ribana war existent. Dennoch kam sie mir vor, als würde sie irgendwo zwischen den Welten schweben und nur darauf warten, sich aufzulösen. Sie fror auch nicht. Der Stoff ihrer Kleidung war dünn. Sie hatte sich helle Tücher über einen nackten Körper gewickelt, und viel dieser blanken Haut schimmerte durch.
Der Rote Ryan nickte, legte einen Arm auf Ribanas Schultern und drehte sie im Kreis.
Beide schauten uns an.
Der Rote Ryan lächelte, als er uns mit Ribana entgegenkam.
Ich konzentrierte mich auf das Gesicht der Frau oder Fee, das sich in der Dunkelheit sehr gut abzeichnete. Es war so wunderbar fein geschnitten, wie ich es bei einem Menschen noch nicht erlebt hatte. Der Vergleich mit einer Fee mochte zutreffen. Ribana war fast überirdisch schön. Ich hatte den Eindruck, sie nicht berühren zu dürfen, aus Furcht, daß sie zusammenbrechen könnte.
Mit dem Gedanken beschäftigte sich der Rote Ryan überhaupt nicht. Er fühlte sich neben Ribana sichtlich wohl, denn selten hatte ich ihn so herzlich lächeln sehen. Beide blieben dicht vor uns stehen. Es war Harry Stahl, der etwas zurücktrat, als fürchtete er sich.
»Bitte«, sagte der Rote Ryan. »Das ist Ribana. Sie möchte euch kennenlernen.«
Das Wesen streckte zuerst mir die Hand entgegen. Mein Blick wandte sich von ihrem Gesicht mit den funkelnden Augen ab, und auch ich zögerte einen Moment, ihr die Hand zu reichen, dann aber griff ich zu.
Sie fühlte sich anders an. Sie war zart, trotzdem kräftig, und es ging von ihr eine Wärme aus, die mich beeindruckte. Das war kein Schweiß, der sich auf die Handfläche gelegt hatte, es war eine pflanzliche Wärme,
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