0843 - Tunnel der hungrigen Leichen
Hinter dem Rücken der beiden Kämpfer wuchsen neue Klauen, die allerdings ins Leere griffen.
Ich tat gar nichts, denn ich hatte begriffen, daß ich hier eine Demonstration erleben sollte. Beide wollten mir klarmachen, mit welchen Gegnern sie zu kämpfen hatten, und sie blieben dabei. Schlagend und sich immer wieder anfeuernd machten Jolanda und Rob ihren Weg. Die Distanz zwischen uns schmolz, nur wurden die Klauen nicht weniger, und sie wuchsen nach.
Die Wände waren starr gewesen. Zwar fielen sie auch jetzt nicht zusammen, doch ich hatte mehr und mehr das Gefühl, als wären sie nicht mehr so wie zuvor.
Sie waren weicher geworden, sie lebten, aus ihnen strömte etwas nach draußen.
Ein Pestatem…
Vor mir blieben die beiden stehen.
Sie hatten die Hände zerschlagen, aber sie hatten das Nachwachsen nicht stoppen können. Beide sahen leicht erschöpft aus. Sie waren auch über und über mit Schlamm bedeckt.
Ich war verschont geblieben und konnte mir den Grund nicht erklären. Beide nickten mir zu. Jolanda wischte den Dreck aus ihrem Gesicht, selbst ihre Zöpfe sahen verschmiert aus. »Es wird immer so bleiben«, sagte sie zu mir, »wenn nichts geschieht.«
»Was soll denn geschehen?«
»Durch dich wird etwas geschehen müssen.«
»Durch mich? Gib mir deine Waffe, dann werde ich das gleiche tun wie ihr. Mehr kann ich nicht.«
»Doch, du wirst mehr können, denn der Vorhang ist aufgerissen worden. Das Grauen hat seine Gracht verlassen und ist durch das Tor in die normale Welt gelangt. Dort wird es sich ausbreiten. Schon sehr bald werden die Hände nicht mehr hier in diesem Tunnel der hungrigen Leichen sein, sondern in den Grachten schwimmen, sie überschwemmen, um an all die Menschen heranzukommen, die ahnungslos in ihren Booten sitzen. Wir können sie nicht völlig zurückschlagen, du aber wirst es schaffen.«
»Das habe ich gesehen«, erwiderte ich sarkastisch. »Nichts, aber auch gar nichts ist mir gelungen.«
»Nicht hier.«
»Wieso nicht?«
»Wir schwimmen nicht in deiner Welt, auch wenn es so aussehen mag. Noch befinden wir uns in einem Zwischenreich, aber wie ich schon sagte, das Tor steht offen. Und die hungrigen Leichen sind bereit, ihre Gracht zu verlassen.«
»Ihr habt mich dazu auserwählt, um sie zu stoppen, wie?«
»Das haben wir.«
»Ich habe nichts getan, und ich weiß auch nicht, wie ich sie stoppen oder vernichten soll. Oder wollt ihr mir eure Waffen überlassen?«
»Es hätte keinen Sinn.«
»Warum nicht?«
»Weil es andere Waffen gibt, und weil der Kampf nicht in dieser Welt ausgefochten wird, sondern in der normalen, in deiner. Wir haben dir nur gezeigt, wo du hinmußt.«
»Es ist Amsterdam, nicht?«
Jolanda nickte.
Ich sprach sie auch an. »Und werde ich, wenn ich also ›richtig‹ hier ankomme, auf euch treffen?«
Ich mußte über meine Formulierung selbst lächeln.
»Wir sind da und auch nicht da«, erwiderte sie ausweichend.
»Und wer seit ihr wirklich?«
»Bewacher, Hüter oder Bewahrer. Du kannst es dir aussuchen, Vielleicht wirst du irgendwann vor der Lösung des Rätsels stehen. Bis dahin wird Zeit vergehen, die du nutzen solltest. Wir haben dich geholt, damit du weißt, was auf dich zukommt. Diese Gracht ist nur ein Teil von ihm.«
»Von wem redest du?«
»Von einem uralten Fluch.«
»Hat der Fluch Gestalt?«
Sie lächelte wage. »Komm wieder und finde es heraus, nicht alle Flüche bestehen aus Worten…«
Ich spürte die Kälte, wollte gerade eine Frage stellen, doch dazu kam ich nicht mehr, denn alles wurde anders.
Nicht daß sich die Welt drehte, sie trat nur zurück. Da war plötzlich eine dichte Schwärze, die alles aufsaugte und natürlich nicht an mir vorbeiging.
Dann war ich weg.
Einfach so…
***
»Der Herr Geisterjäger ist wieder da und riecht nicht eben nach einem Deo von Chanel.«
Die Stimme erreichte meine Ohren. Sie klang so unheimlich weit entfernt, und dennoch kam sie mir bekannt vor. Ich gab auch eine Antwort, aber ich wußte selbst nicht, was ich sagte, und ich hörte, wie die Männerstimme mit einer Frau redete.
Dann schlug ich die Augen auf.
Ich schaute ins Licht, zwinkerte, sah Beine in meiner Nähe und auch zwei Paar Schuhe. Hände reckten sich mir entgegen, Gesichter erschienen, einmal das meines Freundes Suko, und zum anderen schaute mich Shao sehr besorgt an.
»Hi«, murmelte ich.
»Auf einmal warst du da, John«, sagte sie. »Du… nein, es kam uns vor, als wärst du vom Himmel gefallen und hättest jede über uns
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