0843 - Tunnel der hungrigen Leichen
interessant machte.
In der Wohnung war es warm. Deshalb trug der Mann nur ein T-Shirt zu blauen Jeans. Unter dem dünnen Stoff zeichneten sich die Muskeln ab, im kurzen, dunklen Haar schimmerten noch die Wassertropfen der morgendlichen Dusche.
Die Küche der Wohnung war ebenfalls nur winzig. An den Wänden zierte sie eine Blümchentapete, aber für zwei Personen reichte der Raum völlig aus. Jolanda hatte das Frühstück zubereitet. Der Kaffee duftete. Auf dem Tisch standen die kleinen Brötchen, Hörnchen lagen auch bereit, Konfitüre und Honig ebenfalls.
»Möchtest du auch Roastbeef, Rob?«
»Nein, danke. Heute nicht.«
»Es geht dir nicht gut, wie?«
»Dir denn?«
Sie hob die Schultern. Jolanda hatte die Haare nicht mehr zu Zöpfen geflochten. Sie trug es jetzt offen, und die blonde Mähne fiel bis auf die Schultern. Ihr Gesicht zeigte nicht den Hauch von Schminke, dafür den Reiz einer typischen nordischen Schönheit. So wie sie, stellte man sich im allgemeinen eine Wikingerfrau vor.
Auch sie hatte sich wegen der Wärme luftig angezogen. Eine Bluse, die locker, über ihre Hose fiel, dazu eine hellrote Weste, und einige Modeschmuckketten um den Hals.
Sie schenkte Kaffee ein, und Rob bedankte sich bei ihr mit einem knappen Lächeln. Erst als beide erste Schlucke und erste Bissen gegessen hatten, redeten sie wieder.
»Du hast die Nacht nicht vergessen?« fragte Jolanda.
»Wie könnte ich?« Robs Lächeln wirkte etwas verloren. »Wir waren wieder unterwegs.«
»Ja, das waren wir.« Sie nickte. »In unseren Träumen waren wir unterwegs, nicht wahr?«
Rob wußte, daß sie immer so fragte. Sie wollte sich einfach bestätigt wissen, obwohl sie wußte, daß es so nicht stimmte. Nein, es ging nicht um die Träume. Was sie in den Nächten erlebten - nicht in allen - hatte nichts mit Träumen zu tun. »Ja, wir waren unterwegs, und diesmal ist es schlimmer gewesen.«
Jolanda schaute auf den Tisch. »Ich weiß es nicht, Rob. Vielleicht hast du recht, vielleicht auch nicht, aber wir haben es ja versucht.«
»Meinst du ihn?«
»John Sinclair.«
»Er war da.«
»Er hat uns gesehen«, präzisierte Jolanda, und er wird die Botschaft auch verstanden haben. »Dieser Mann ist und darf nicht dumm sein. Er wird genau wissen, um was es geht. Wir haben ihm nicht nur angedeutet, was ihn da erwartet. Er ist gewarnt worden, er hat sich in diesem Tunnel befunden, er hat uns gesehen, und wir haben ihm auch den Hinweis auf unsere Stadt gegeben.«
Rob enthielt sich eines Kommentars. Er aß, dachte nach und schlug schließlich vor, die Augen offenzuhalten.
Jolanda schaute ihn an. »Wie meinst du das?«
»Ich möchte ihn finden.«
Sie amüsierte sich und schüttelte den Kopf. »Mein Lieber, weißt du, wie groß Amsterdam ist?«
»Und ob. Wir stammen schließlich aus dieser Stadt. Aber unmöglich ist es nicht.«
»Nein, das ist es nicht.« Jolanda strich Honig auf eine Scheibe Weißbrot. Sie legte den Kopf schief.
»Aber was wird er sagen, wenn er uns plötzlich sieht?«
Rob hob die Schultern. »Er wird sich an uns erinnern und sich darüber wundern, daß es uns auch in Wirklichkeit gibt und nicht nur in seinen Träumen. Ich hoffe, daß gerade er diesen Schock überwinden wird.«
Jolanda gab ihm durch ihr Schweigen recht. »Und warum gibt es uns zweimal?«
Er schaute über den Tisch hinweg. Sein linkes Auge zeigte einen scharfen Blick. Die Pupille sah aus, als wäre sie frisch geschliffen worden. »Das ist eben so.«
»Schicksal?«
»Ja.«
Jolanda wollte das nicht akzeptieren. »Ich glaube dir nicht, Rob, nein, ich glaube dir nicht. Es ist kein Schicksal. Es hat etwas mit uns zu tun, da bin ich mir ganz sicher. Wir sind zwei Phänomene, wir leben praktisch zwei Leben, aber sind wir einzigartig?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wir haben uns gefunden.«
»Das stimmt.«
»Und wir lieben uns.«
Er nickte. »Das stimmt auch.«
»Und wir sind einem Mann namens John Sinclair erschienen, um ihn in der Nacht zu entführen. Warum sind wir zu ihm gekommen? Warum gerade zu ihm, Rob?«
»Das kann ich dir sagen.«
»Ich bin gespannt.«
Rob Exxon trank erst seine Tasse leer. »Weil wir daran gedacht haben, daß er eben so ist wie wir.«
Darüber mußte Jolanda erst nachdenken. Sie schaute auf die alte Uhr an der Wand. »Nein, Rob, nein, er ist nicht wie wir. Er ist einfach anders, und er ist kein Feind von uns. Er steht irgendwie auf derselben Seite, und wir haben ja zuvor nie von ihm gehört, das weißt du auch. Plötzlich
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