0844 - Tödliches Amsterdam
sein Gesicht zu sehen, um zu erkennen, daß er nicht scherzte. Zischend stieß sie den Atem aus. Die Lanzenspitze schimmerte wie ein Spiegel. »Und du bist sicher, dich nicht getäuscht zu haben? Hundertprozentig sicher?«
Rob hob die Schultern. »Was heißt hundertprozentig? Ich gehe mal davon aus.«
»Hast du denn etwas gehört?«
»Auch nicht.«
»Dann gehst du nur deinem Gefühl nach?«
»Fast, aber auch die Logik sagt mir, daß wir auf der Abschußliste stehen. Schließlich sind wir es, die gewisse Steine ins Rollen gebracht haben. Wer immer auch hinter den Dingen steht, wer immer dieses Böse ist, es muß sich jetzt zeigen, es muß aus seinem Loch hervorkommen, und es muß versuchen uns auszuschalten. Bisher haben wir die hungrigen Leichen nur in unseren Wahrträumen und auf unseren Reisen erlebt. Das wird sich von heute an ändern.«
Jolanda war ebenfalls an das Geländer getreten und deutete in die Tiefe.
»Du rechnest also damit, daß sie ihren Tunnel verlassen haben, um dieses Haus hier zu besetzen.«
»Ja. Sie müssen etwas tun.«
»Und wie sollen sie hergekommen sein?«
»Das ist einfach. Nicht weit entfernt liegt ein Kanal. Es gibt von dort eine Verbindung zu unserem Haus, und zwar die Abwasserkanäle. Das ist ihre Verbindung. Hier gibt es zwar keine richtigen Keller, in denen wir etwas aufbewahren können, aber entsprechende Räume sind schon vorhanden.«
»Da willst du nachschauen.«
»Falls sie uns nicht schon vorher begegnen. Ich habe zwar noch keinen Beweis, aber ich verlasse mich voll und ganz auf mein Gespür. Das reagiert in diesem Fall positiv.«
Jolanda enthielt sich eines Kommentars. Sie konnte ihren Partner verstehen, aber seine Handlungen noch nicht nachvollziehen. Im Prinzip jedoch zahlte einzig und allein der Erfolg, und den mußten sie erringen, sollte Amsterdam nicht untergehen.
Sie ließ Rob den Vortritt. Die Treppen waren nicht nur schmal, sondern auch steil wie eben in vielen Häusern der Niederlande üblich. Wer daran nicht gewöhnt war, geriet leicht ins Stolpern.
Die Wände waren beigefarben gestrichen, das Holz der Stufen zeigte eine dunkelbraune Farbe.
Rechts von ihnen befand sich das Geländer, an dem sich die beiden festhielten. Hin und wieder warfen sie einen Blick in den Treppenhausschacht, ohne aber in der Tiefe eine verdächtige Bewegung sehen zu können. Auch von den anderen Bewohnern betrat niemand den Flur, und kein fremdes Geräusch störte sie.
Auch Jolanda und Rob bemühten sich, möglichst leise zu sein. Wenn jemand lauerte, sollte er sie so spät wie möglich bemerken, denn die Überraschung sollte auf ihrer Seite liegen.
Sie erreichten die zweite Etage, ohne daß sich etwas ereignet hatte. Auf Robs Stirn lagen kleine Schweißperlen. Sein sowieso schon hart wirkendes Gesicht wirkte plötzlich wie neu geschmiedet. Da regte sich kein Muskel unter der Haut, und die Pupille des linken Auges sah aus wie ein dunkler Eiskreis.
»Sieht ja gut aus…«
Rob nickte. »Noch…«
Er ging weiter. Seine rechte Hand lag auf dem Geländer. Sie strich so vorsichtig darüber hinweg, als bestünde es nicht aus Holz, sondern aus der glatten Haut einer Frau.
Jolanda blieb dicht hinter ihm. Sie schaute gegen Robs breite Schultern, sie sah auch hin und wieder den blanken Stahl der beidseitig geschliffenen Waffe, die Rob im Kampf meisterlich beherrschte. Das hatte sie einige Male gesehen und erlebt, nur war ihnen ein richtiger Erfolg nicht vergönnt gewesen.
In der ersten Etage stoppten sie wieder. Zwei Personen, die beinahe die gesamte Breite des Treppenabsatzes einnahmen, und wieder peilten sie in die Tiefe.
Stille.
Kein Atmen, kein Keuchen, und die Spannung fiel zumindest von Jolanda etwas ab. Sie hoffte intensiv, daß sich Rob geirrt hatte, denn Jolanda ging davon aus, daß sie persönlich während ihrer zweiten Existenz stärker waren.
Rob drehte den Kopf, sah sie mit seinem einen Auge an und sagte sehr leise: »Und jetzt noch den Rest.«
»Nur bis zur Tür oder noch in den Keller hinein.«
»Bis ganz unten.«
»Ich gehe mit.«
Sie stiegen weiterhin so leise wie möglich die Stufen hinab, und wieder nahm die Spannung bei ihnen zu. Auf ihrem Körper spürte Jolanda die Gänsehaut, die sich wie eine kalte Schicht gebildet hatte. Auch sie überkam plötzlich ein Gefühl, daß nicht alles mehr stimmte und Rob mit seiner Vermutung recht behalten könnte. Daß die Feinde den Weg gefunden hatten und darauf lauerten, an sie, an ihre Körper, an ihr Fleisch
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