0848 - Spionin der Hölle
Hoffnung auf Rückkehr seiner Frau hatte er in der Zwischenzeit aufgegeben.
Noch immer wusste er nicht, unter welchen Umständen sie verschwunden war, doch immerhin hatte er nun eine Klarheit erlangt. Tina war die letzte in einer Kette von Nachfahren, die in der Wächterin der alten Stadt mündete. Der Stadt, die es vor Urzeiten hier einmal gegeben hatte.
Vielleicht lebte seine Tina heute irgendwo, auf irgendeiner Welt als Wächterin einer weißen Stadt? Zamorra war davon überzeugt, dass die alte Wurzel hier nur dadurch zu neuem Leben erwacht war, weil Tina nicht mehr vor Ort lebte. Sie trug das längst vergessene Erbe tief in sich, und alleine ihre Anwesenheit war Garant gewesen, dass der Erde keine akute Gefahr durch eine alles verschlingende Stadt wie Armakath gedroht hatte.
Doch all das beantwortete nicht Sabeth' Frage. Ja, was wartete auf Brik Simon?
Ein Leben als Schriftsteller in Englands pulsierender Metropole? Vielleicht. Vielleicht jedoch würde alles ganz anders kommen. Brik hatte längst erkannt, wie sinnlos es war, sich sein Leben komplett vorzuplanen.
Sollte er das alles nun der Vampirin erzählen? Brik war sich nicht sicher, ob es sie tatsächlich interessierte.
Er erfuhr es nie, denn das erstaunlich vertraute Gespräch der so unterschiedlichen Wesen war in der folgenden Sekunde beendet.
Brik hatte schon elegantere Auftritte des Professors gesehen. Zamorra war ganz einfach da.
Keine drei Schritte vom Küchentisch entfernt, materialisierte der Parapsychologe, taumelte rückwärts, knallte unsanft mit seinem Rücken gegen die Wand. Sabeth sprang sofort hoch, als wolle sie den Mann am Fallen hindern. Doch das war nicht mehr nötig, denn Zamorra schien die kleine Krise überwunden zu haben.
Brik Simon wunderte sich über sich selbst. Er blieb ganz ruhig sitzen, als könne ihn nichts mehr erschüttern. »Kannst du nicht anklopfen, wie ein normaler Mensch?«
Zamorra schien noch ein wenig verwirrt, als er sich ungefragt einfach auf einen leeren Stuhl am Tisch setzte. »Ich habe nie behauptet, dass ich ein normaler Mensch bin.« Brik entdeckte den dünnen Gegenstand, den Zamorra in der rechten Hand hielt. Er sah aus wie ein Holzspan, doch als der Professor ihn auf den Tisch fallen ließ, konnte man am Geräusch erkennen, dass er ungewöhnlich schwer war.
Sabeth legte ihre schmale Hand auf den Span. In ihrem Gesicht zeichnete sich Verblüffen ab. »Ein Span der Wurzel Armakaths. Was ist geschehen, Zamorra?«
Ohne Zögern begann der Franzose die Geschichte zu berichten, die ihn hierher gebracht hatte.
Sabeth und Simon hörten ihm atemlos zu. Mit jedem Wort wurde ihnen bewusster, warum Zamorra nun hier bei ihnen saß.
Die alte Wurzel - tief im Boden unter ihnen - war Armakaths allerletzte Chance…
***
Der Aufprall musste bald erfolgen…
Yola war nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Die ersten Meter war sie mit ihrem Körper links und rechts gegen die Wände des Loches geschlagen, in das sie gefallen war. Ein Wunder, dass sie nicht schon dabei das Bewusstsein verloren hatte. Vielleicht wäre das besser gewesen, denn so erlebte sie die letzen Momente ihres Lebens bewusst mit, ertrank in der Todesangst, die schon in ihren Kindheitsträumen stets mit dem freien Fäll zusammengehangen hatte.
Fallen… immer schneller… in eine Tiefe, die kein Ende erahnen ließ. Und immer die Angst vor dem entsetzlichen Schlag, der ihr dann schließlich und endlich das Leben rauben würde…
Jetzt waren diese Träume zur Realität geworden.
Sie schloss die Augen. Welch unsinniges Tun, doch erwartete man sein Ende nicht mit geschlossenen Lidern? Zumindest konnte sie sich so noch ein letztes Mal das imaginäre Bild ihrer kleinen Cloe vorstellen. Yola hoffte, dass Galina ihr halbherzig abgegebenes Versprechen einhalten konnte. Das Wort einer Amazone - es war sicher sehr gewichtig.
Das Geräusch kam so unvermittelt, dass die junge Frau instinktiv die Augen aufriss. Natürlich konnte sie nichts sehen - um sie herum war nur Schwärze. Was für ein Geräusch war das gewesen? Es hatte geklungen, als würde sich Wind unter eine Plane fangen, oder in ein Großsegel fahren.
Ihr freier Fall war deutlich langsamer geworden, hatte sich in ein Schweben gewandelt. Ja, sie schwebte der Tiefe nun entgegen. Vorsichtig fassteYola mit beiden Händen nach oben zu ihrem Kopf und zuckte sofort wieder zurück. Quietly! Das stumme Wesen hatte seine erstaunliche Wandlungsfähigkeit in die Waagschale geworfen.
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