0851 - Wir jagten das bleiche Gesicht
daß Rita Reinold gekommen war, um sie zu verändern oder zu vernichten. Auf ihn wirkte die Erscheinung eher wie jemand, der eine Botschaft mitbrachte, und er sollte sich nicht geirrt haben.
Daß Geister sprechen können, erlebte er in den nächsten Sekunden, denn Rita sprach sie an. Sie redete nicht mit normaler Stimme, bei ihr war alles anders. Der Klang war hoch, als käme er aus einem alten Radio, das nicht richtig eingestellt war. Eine Stimme von einer ungewöhnlichen Frequenz, denn so sprach kein Mensch, eher schon Geister.
Als sie redete, schien das Glas aufgrund dieser hohen Frequenzen zu vibrieren, aber das konnten sich die beiden auch nur eingebildet haben. Jedenfalls verstanden sie die Worte, und sie würden sie auch bestimmt nicht vergessen.
»Es ist mein Rachefeldzug, mein eigener. Ich bin gekommen, um euch zu warnen. Ich will dabei nicht gestört werden. Wer immer es auch versuchen wird, mich davon abzuhalten, er wird es mit seinem Leben bezahlen. Ich kann in meinem Reich erst Ruhe haben, wenn alle vernichtet sind, die mich quälten. Ich muß sie verändern, ich werde ihre Lebensenergie zu meiner machen. Das Dasein besteht aus Energie, denn so ist es nicht nur bei den Geistern, auch bei den lebendigen und stofflichen Personen. Die Seele und die Energie sind das Wichtigste überhaupt, das einen Menschen zusammenhält. Daran solltet ihr immer denken. Laßt mich meinen Weg gehen, und stellt euch nicht dazwischen.«
Sosehr diese Worte auch als Warnung formuliert worden waren, sie hatten zumindest einen der beiden Zuhörer irgendwie beruhigt.
Wer warnte, der tötete nicht, noch nicht, das sah zumindest Harry Stahl so, und er nickte, obgleich er eine Frage hatte. »Du bist aber nicht allein«, sprach er gegen die Scheibe. »Wir waren in der Zelle und haben noch etwas anderes gesehen.«
Die schrille Zwitscherstimme unterbrach ihn. »Ja, ich weiß dar über Bescheid. Ich konnte euch beobachten.«
»Wem gehörte die Fratze?«
Huschte nicht ein Lächeln über die blassen Lippen, oder hatte sich Harry geirrt?
Er konnte es beim besten Willen nicht Sagen, aber die Erscheinung bewegte den Kopf. »Ihr solltet nicht danach fragen«, schrillte sie leise. »Nein, ihr solltet es lassen, wenn euch das Leben wichtig ist. Er ist etwas Unaussprechliches. Er ist mein Mentor und mein Meister. Er beschützt mich, ein düsterer Engel, den ich schon zu meinen Lebzeiten angebetet habe. Fragt nie mehr nach ihm, fragt nicht. Geht… geht weit weg …« Es waren ihre letzten Worte, und wieder glaubte der Detektiv, das Glas der Scheibe zittern zu sehen.
Noch einmal wurde er von einem kalten Hauch erwischt, dann gab es die Erscheinung nicht mehr. Sie hatte sich zurückgezogen und sich mit der Luft vermengt. Einfach aufgelöst, das war alles.
Beide Männer standen da und schwiegen, bis Franz Jochem das Schweigen unterbrach. »Verdammt noch mal, Harry, ich gehöre wirklich nicht zu den gläubigen Menschen, aber in den letzten beiden Minuten habe ich wieder gebetet. Das… das mußte einfach sein. Ich habe nicht einmal die Hände gefaltet, ich habe still gebetet, und mir schossen die alten Verse aus meiner Kindheit durch den Kopf. Kannst du das begreifen, Harry?«
Stahl drehte sich um. »Ja, das kann ich«, sagte er.
»Dann bin ich zufrieden.« Jochem war auf seinem Stuhl zusammengesunken und schüttelte den Kopf. »Der Kelch ist an uns beiden vorübergegangen, und wir sollten immer daran denken. Wir sollten es nicht vergessen, dieser Besuch muß uns Warnung genug gewesen sein. Oder was sagst du?«
Harry hob die Schultern.
»Willst du nicht?« Franz Jochem drückte sich langsam in die Höhe. Sein Gesicht zeigte einen großen Zweifel und ein gleichzeitiges Flehen. »Hast du die Worte schon vergessen?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Aber… aber … du denkst nicht daran, die Warnung zu befolgen, Harry – oder?«
»Wie kommst du darauf?«
»Das sehe ich dir an. Ich kenne dich noch nicht so lange, aber ich habe viel von dir erlebt. Du bist jemand, der nicht so leicht aufgibt oder einen Fall aus den Händen gibt, nicht?«
»Das stimmt schon, Franz.«
»Dann machst du weiter!«
»Nicht nur ich.«
Jochem verdrehte die Augen. »Denkst du immer noch an die beiden Männer aus London?«
»Jetzt mehr denn je.«
Franz war verzweifelt. »Verdammt noch mal«, sagte er und starrte dabei das Fenster an. »Was sollen die denn hier? Was können sie überhaupt erreichen?«
»Alles«, erwiderte Harry leise.
»Das glaube ich dir
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