0853 - Die vier aus der Totenwelt
auf der Zunge.
Das war Vergangenheit, ich mußte in die Zukunft sehen und mich zunächst mit der Gegenwart abfinden. Das wuchtige Haus meiner Eltern stand auf einer kleinen Anhöhe. Es war noch so gebaut worden, daß man sich darin sicher und wohl fühlen konnte und bei einem Orkan keine Angst zu haben brauchte, daß irgendwelche Teile plötzlich davonflogen. Mein Vater war damit beschäftigt, Büsche zu beschneiden, die um das Haus herumwuchsen. Erst als ich ausgestiegen war und die Tür ins Schloß warf, drehte er sich um, schaute mich an, warf die Schere dann weg und lachte.
»John! Junge! Ha, ha… endlich!«
Er kam auf mich zu, ich ging ihm entgegen. Dann lagen wir uns in den Armen, und ich freute mich darüber, wie gesund der alte Herr noch aussah. Sicherlich hatte er sich wieder viel an der frischen Luft aufgehalten. Das machte sich eben bemerkbar.
»Toll, daß du gekommen bist.«
»Wenn ihr mich so ruft.«
Er lachte. »Was meinst du, wie nervös deine Mutter schon ist. Seit gestern überlegt sie, was sie kochen will. Sie hat das Bett im Gästezimmer frisch bezogen, Blumen hingestellt, und als ich sie fragte, welcher König denn kömmt, hat sie nur abgewinkt und mich einen alten Narren genannt. Aber du kennst das ja.«
»Glaub ihm kein Wort, mein Junge!«
Ich drehte mich um. Meine Mutter hatte längst gesehen, wer da gekommen war. Es hatte sie auch nicht mehr im Haus gehalten, und wenig später fing ich sie so auf, wie sie mich früher einmal als Kind in die Arme genommen hatte.
Sie preßte mich an sich, ich bekam ihre Küsse und spürte, daß sie vor Freude Tränen in den Augen hatte und zitterte. Da war nichts gekünstelt, da war alles echt, sie war einfach eine wunderbare Frau und Mutter, diese Mary Sinclair.
»Es ist alles vorbereitet, John.«
»Was denn?«
»Du wirst doch etwas essen wollen.«
»Ja, aber nicht jetzt.«
»Wieso?«
»Mutter.« Ich verdrehte die Augen und bekam mit, wie mein Vater im Hintergrund griente. »Bitte, Mutter, ich habe heute morgen gut gefrühstückt. Ich hatte übernachtet, und man hat mich wirklich verwöhnt. Ich kann jetzt nicht.«
»Auch keinen Kaffee?«
»Den Kompromiß gehe ich ein.«
»Na bitte.«
Wir gingen dorthin, wo es mir eigentlich immer am besten gefiel.
In die herrlich große Küche mit dem Fliesenboden und den Möbeln aus Holz. Mein Vater wurde angehalten, sich wenigstens die Gartenschürze abzubinden und sich die Hände zu waschen.
»Ja, Frau Gräfin.«
Meine Mutter hatte nur Augen für mich. »Setz dich, Junge.« Natürlich bekam ich den besten Platz, und natürlich blieb es nicht bei dem Kaffee-Kompromiß, denn die Mutter stellte bereits von ihr selbst gebackene Brioches auf den Tisch und die ebenfalls selbstgemachte Konfitüre. Der Kaffee gluckerte durch, mein Vater kehrte auch zurück, und ich wollte Fragen zum Fall stellen, dazu ließ mich meine Mutter nicht kommen. Sie wollte von mir wissen, was ich denn so getrieben hätte. Sie stellte die Fragen alle auf einmal, und ich gab ihr auch Antworten, die allerdings sehr knapp ausfielen.
»Mutter«, sagte ich dann, als sie Atem holte und mein Vater schon grinsend aus dem Fenster schaute, »viel wichtiger ist doch, daß wir uns mal wieder sehen. Am Telefon hörte ich etwas von Geistererscheinungen und…«
»Das stimmt.« Sie stand auf und holte den Kaffee. Dann schenkte sie ein und kam auf die Familien Wayne und Travers zu sprechen, die ihre Kinder bei einem Bootsunglück verloren hatten, deren Leichen aber nie gefunden worden waren. Dafür waren Mrs. Wayne die beiden Kinder in der Nacht als Geister erschienen, und wie es den Fachleuten nicht gelungen war, die vier Leichen in dem See zu finden. »Sie sind verschwunden, Junge, einfach verschwunden. Niemand weiß wohin.«
»Wie tief ist der See denn?«
»Nicht besonders«, sagte mein Vater. »Den kannst du nicht mit dem Loch Ness oder Loch Morar vergleichen. Er ist sogar relativ flach, auf dem Grund aber ziemlich schlammig.«
»Dort könnten die Toten doch verborgen liegen«, sagte ich.
»Nein, John.« Mein alter Herr schüttelte den Kopf. »Es ist wirklich alles abgesucht worden, doch die jungen Leute wurden nicht gefunden.«
Ich hatte die Tasse mittlerweile zur Hälfte geleert, vergaß auch nicht, den Kaffee genügend zu loben und kam dann wieder auf das Thema zu sprechen. »Es gibt also nur die Aussage dieser Mrs. Wayne.«
»Nicht ganz, Junge!« korrigierte mich meine Mutter. »Da ist noch diese Mrs. Travers gewesen.«
»Ja
Weitere Kostenlose Bücher