0855 - Spektrum des Geistes
nichts außer ihrer selbstlosen Opferbereitschaft zu bieten. Sie drängte sich deshalb für diese Rolle förmlich auf. Aber tatsächlich fand das Zusam-mentreffen mit Harzel-Kold rein zufällig statt."
„Und warum erinnere ich dich an sie?" fragt die Frau. „Sehr schmeichelhaft finde ich das gerade nicht, wenn du von Virna Marloy eine so schlechte Meinung hast."
Er lächelte entwaffnend.
„Du siehst ihr ähnlich, das habe ich ausdrücklich betont", sagte er und nippt an seinem Drink. „Dazu kommt noch ein gewisser Hang zur Nächstenhilfe, aber sonst habt ihr nichts gemeinsam. Virna war im Grunde genommen ein dummes Geschöpf, bar jeglicher Inte-resse. Ihre romantische Ader kann ich nicht als Plus werten. Du dagegen hast einen aus-geprägten Intellekt. An dir fasziniert mich weniger das Aussehen als die Persönlichkeit, die du darstellst. Und dann ist da ein ganz wichtiger Punkt, der den Ausschlag gegeben hat."
„Und der wäre?" fragt sie und denkt dabei: Man muß ihm beim Reden nur „zuhören", ohne ihm „zuzuschauen", dann offenbart er seinen Charakter deutlicher.
„Ich fühle mich zu dir außergewöhnlich stark hingezogen", sagt er mit einer Betonung, als handle es sich um eine tiefgreifende Erkenntnis.
„So, so", meint sie belustigt. „Das hat mir noch kein Mann gesagt."
„Ich meine das anders", erwidert er leicht ungehalten. „Ich habe vorhin meine Paratender erwähnt. Das alles sind Menschen, die geistig mit mir auf einer Wellenlänge liegen.
Ich nenne es eine PSI-Affinität, die es zwischen uns gibt. Aber während die Paratender nur Perzipienten für meine Sendungen sind, habe ich bei dir das Gefühl, daß du mir gleichwertiger bist. Verstehst du, ich bin mit dir stärker psi-affin als mit allen anderen. Du bist mehr als ein Empfänger, du sendest auch. Unbewußt vielleicht nur, aber ich merke den Unterschied."
„Tatsächlich?" Sie gibt sich unsicher und zeigt leichtes Unverständnis. „Irgendwie machst du mir Angst. Wechseln wir lieber das Thema. Erzähle mir, was weiter mit Virna Marloy geschah. Bekam sie ihr Kind?"
„Was sonst? Würde ich sonst vor dir stehen?"
„Moment, das muß ich erst verdauen. Willst du sagen, daß sie deine Mutter war und Harzel-Kold dein Vater?"
„Die beiden haben mich gezeugt, und deshalb gelten sie in landläufigem Sinn als meine Eltern. Aber was ich bin, das habe ich nicht ihrem Erbgut zu verdanken. Sie haben mir zum Leben verholten, mehr nicht. Meine geistigen Eigenschaften jedoch, mein Ich..."
„Nicht so hastig", unterbricht ihn die Frau. „Laß uns eines nach dem anderen klären, damit ich nicht die Übersicht verliere. Du hast gesagt, daß Virna Marloy im Jahre 3491 nach Zwottertracht ging."
Er lächelt sein unwiderstehliches Jungenlächeln.
„Und neun Monate später wurde ich geboren. Sieht man mir an, daß ich im vierundneunzigsten Lebensjahr stehe?"
„Nein, ganz und gar nicht."
3492: Harzel-Kold 5.
Galinorg kam etwas früher zum Treffpunkt, aber die Frau war schon da. Als er den Kon-ferenzraum betrat, sprang sie von ihrem Platz am Tisch auf; etwas zu schnell, denn sie mußte sich am Tischrand stützen. Sie trug ein vincranisches Hosenkleid, aber nicht aus Tradition, sondern der gäanischen Mode gehorchend. Sie war keine Vincranerin.
Vielleicht trug sie das lose Gewand auch nur, um ihren Zustand zu verbergen. Sie war schwanger.
„Sind Sie der Vaku-Lotse Galinorg?" sagte sie mit atemloser Stimme. „Ich heiße Virna Marloy. Bitte, nehmen Sie Platz."
Er nickte dankend, setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Sie hatte ein rundes, aufge-dunsenes Gesicht, dennoch zeigten sich um ihre Mundwinkel tiefe Kerben.
„Was kann ich für Sie tun?" fragte er höflich.
„Man hat mir gesagt, daß Sie mir weiterhelfen können", sagte sie zwischen hastigen Atemzügen. „Ich versuche schon seit Wochen, mit Harzel-Kold Kontakt zu bekommen, aber niemand kennt seinen Aufenthalt. Durch Zufall erfuhr ich, daß sie ihn auf einer Expedition zum fünften Planeten des PROV-Systems begleiteten. Stimmt das?"
„Es ist richtig", bestätigte Galinorg.
„Wissen Sie, wo sich Harzel-Kold jetzt aufhält?"
„Er wollte in die Dunkelwolke zurückkehren."
„Nach Zwottertracht?"
„Das sagte er zumindest."
Virna Marloy biß sich auf die Lippen und machte ein Gesicht, als seien ihre schlimmsten Befürchtungen eingetroffen. Sie schien mit sich um einen Entschluß zu ringen, bis sie endlich aufsah und mit leiser Stimme und fast widerwillig sagte: „Würden Sie
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