0860 - Dämonische Zwillinge
der verschiedenen Mysterien und Mystiken zu viele Deutungen, die sich mit den Engeln beschäftigten.
Da konnte man schon leicht den Überblick verlieren.
Trotzdem hatten wir Glück im Unglück. Ein anderer Fall kam uns nicht dazwischen. Hin und wieder fragte Sir James einmal nach, aber wir konnten ihn nur enttäuschen.
Zudem mußten wir uns um die Beerdigung des Templers Pierre kümmern. Er sollte auf demselben Friedhof zur letzten Ruhe gebettet werden wie auch der ermordete Priester Malcolm Worriner. Die Kollegen hatten beide Leichen freigegeben, einer Beerdigung stand nichts mehr im Wege.
Es war am zweiten Tag und kurz vor Feierabend, als wir überraschenden Besuch bekamen. Chefinspektor Tanner betrat unser Büro, schnüffelte, meinte, daß es hier nach einem besonders guten Kaffee riechen würde, und er bekam von Glenda prompt eine Tasse serviert, die er mit großem Vergnügen leerte, wobei er Suko und mich immer wieder anschaute, aber uns nicht ansprach.
»Rück endlich damit heraus, weshalb du gekommen bist, Tanner«, sagte ich.
»Moment.« Er leerte die Tasse und stellte sie ab. »Ich will ehrlich sein und euch erst gar nicht fragen, ob ihr einen Erfolg erzielt habt, das habt ihr ja nicht, aber hat sich wirklich keine Spur aufgetan, die zum Mörder des Pfarrers hinführt?«
»Wir haben ihn«, sagte Suko.
»Ach.«
»Du glaubst uns nicht?«
»Nein, denn wenn es so wäre, hätte ich gern seine Leiche gesehen. Das ist wohl nicht möglich.«
»Stimmt leider.«
»Warum nicht?«
»Der Tote hat sich aufgelöst.«
Tanner bekam einen bösen Blick. »Ihr wollt mich doch nicht auf den Arm nehmen?«
»Dazu bist du uns zu schwer«, sagte ich. »Aber Suko hat recht. Dieser mehrfache Killer hat sich aufgelöst. Du mußt davon ausgehen, daß er kein Mensch war, sondern eine Mischung aus Engel und Dämon, ein Abtrünniger seiner Welt und…«
»Bitte, mach es nicht zu kompliziert. Ihr habt ihn also gestellt?«
»Richtig.«
»Und er wird auch nicht mehr weitermorden können, sagte ich mal so locker.«
»Ich denke nicht.«
»Dann ist ja alles okay.«
»Stimmt.«
Tanner lachte. »Ihr aber, Freunde, seht aus, als wäre nichts okay, versteht ihr?«
»Nein.«
»Wo ist der Pferdefuß?«
Ich hob die Schultern. »Es gibt keinen. Josephiel, so hieß das Wesen, ist vernichtet worden, und zwar durch eine Kraft, die es ihm unmöglich macht, wieder zurückzukehren, in welcher Form auch immer. Das Problem ist sein Erbe.«
Tanner strich unter seiner Nase entlang. Er machte dabei ein Gesicht, das mich an einen zerknitterten Faltkarton erinnerte. »Ein Erbe, hast du gesagt?«
»Ja.«
»Welcher Art?«
»Das wissen wir leider nicht«, erklärte Suko. »Wir sind nicht einmal hundertprozentig sicher, daß ein derartiges Erbe existiert, aber wir können es schon in unsere Richtung mit einbeziehen.«
»Hm.« Tanner schaute in seine leere Tasse. Seine nächste Frage lag auf der Hand. »Könnten wir dann davon ausgehen, daß es möglicherweise zu weiteren Morden kommen wird?«
»Das wollen wir nicht hoffen.«
»Aber ihr schließt es nicht aus?«
Wir hoben die Schultern.
Tanner ballte seine Hände zu Fäusten. »Das ist Bockmist, verdammt. Das ist es.«
»Wir können es nicht ändern«, sagte Suko. »Aber es ist auch nichts entschieden.«
»Und wie soll es bei euch weitergehen?«
»Wir werden morgen bei der Doppelbeerdigung sein.« Ich erklärte ihm, wer begraben wurde, und Tanner überlegte laut, ob er auch dort erscheinen sollte.
»Das bleibt dir überlassen, wenn du Zeit hast…«
»Die habe ich nie, auch jetzt nicht.« Er erhob sich. »Sagt mir noch, wo die Beerdigung stattfindet.«
Er erhielt die Antwort, war zufrieden, ging aber nur bis zur Tür, wo er stehenblieb und seinen Hut zurechtrückte. »Wißt ihr was?« sagte er, und seine sonst so knurrige Stimme hörte sich plötzlich weich an. »Ich habe hier ein verdammt ungutes Gefühl. Das kann alles in die Hose gehen.«
»Wie meinst du das?«
»Das dicke Ende kommt nach!« Er deutete auf seinen linken Fuß. »Immer wenn mein großer Zeh juckt, liegt etwas in der Luft. Und heute juckt er besonders stark.«
»Hat sich dein Zeh schon mal geirrt?«
»Nur selten.« Er nickte und ging. Im Vorzimmer sprach er noch kurz mit Glenda und bedankte sich für den Kaffee.
Suko und ich saßen uns gegenüber und starrten uns an. Nach einer Weile nickte mein Freund und sagte mit leiser Stimme: »Ich befürchte, daß Tanner recht behält, John…«
***
Es war plötzlich
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