0861 - Manege der Hölle
stöhnte auf.
»Er ruft uns zum Training. Warum kann er mich nicht in Frieden lassen? Er weiß, wie es um mein Gemüt steht… soll er mich doch besser sofort töten.«
Nicole hätte der Löwin nur zu gerne Trost gespendet, doch sie hielt räumliche Distanz zwischen Danajy und sich. Die Raubkatze in ihr war zu stark. Es war möglich, dass sie die Löwin instinktiv angegriffen und verletzt hätte. Das war es, was sie mit hilflos meinte. Ihr eigener Wille zählte hier nichts.
»Und wenn wir uns weigern? Wenn wilder Aufforderung nicht nachkommen? Wir müssen unsere Kraft zusammennehmen, Danajy, einfach hier an Ort und Stelle liegen bleiben. Wir können…«
Weiter kam sie mit ihrem kläglichen Denkmodell nicht, denn ohne ihr Dazutun hatte sie sich erhoben, folgte der Löwin, die ihr bereits voranging. Nicole schrie vor Wut - dass dieser Schrei ein wütendes Tigerbrüllen war, registrierte sie kaum noch. Der Zorn ließ sie alles wie durch einen Watteschicht wahrnehmen.
Erst als sie die Arena betrat, wurde Nicole Duvals Wahrnehmung wieder klar und gestochen scharf. Die Arena… Nicole traute ihren Augen nicht. Ein solches Rund hatte sie zuvor niemals gesehen - die Abmessungen ließen sie schaudern. Das waren gut und gerne 150 Meter im Durchmesser! Welche Attraktionen sollten hier ablaufen? Das Gradin - der nach oben hin ansteigende Zuschauerbereich - erinnerte in seiner Gesamtheit einer gewaltigen Wanne, in der viele tausend Besucher ihre Plätze finden konnten.
Das war keine Zirkusarena, das gemahnte in seinen Ausdehnungen an moderne Fußballstadien.
In der Mitte des Platzes stand ein massiver Käfig, der nahezu quadratisch gebaut war. Dort hinein führte der von Gittern umgebene Weg, den Nicole und die Löwin zu gehen hatten.
Der Zentralkäfig, in dem die Raubtierdressur stattfinden würde, war an jeder Seite sicherlich 40 Meter lang. Platz satt für eine Menge aggressiver, hasserfüllter und halb verhungerter Raubkatzen, die gelenkt durch blaue Steine nichts lieber tun würden, als sich gegenseitig zu zerfleischen. Oder ihren Dompteur, wenn der auch nur für einen kurzen Moment die Kontrolle verlieren sollte.
Nicole warf einen Blick in die Höhe. Das Zeltdach schien unendlich weit oben zu liegen, wie in einer anderen Welt. Irgendwo auf halber Höhe war ein Drahtseil gespannt, auf dem zwei schlanke Wesen balancierten. Ein Sicherheitsnetz gab es nicht, was die Nicole-Tigerin nicht weiter verwunderte. Danajy hatte die Hochseilartisten ebenfalls erspäht. Die Löwin reagierte nervös und unsicher mit lautem Gebrüll, das sie in die Höhe schickte.
Irgendwo jonglierten ein halbes Dutzend wild ausschauende Kreaturen mit groben Steinblöcken, von denen jeder einzelne ein nicht unerhebliches Eigengewicht zu haben schien; Nicole sah zwei Kortosionisten, die ihre Körper bizarr umeinander verschlungen hatten - Schlangenmenschen waren nach wie vor im Zirkus und Variete sehr beliebt, doch diese beiden hier übertrieben es. Nicole konnte nicht glauben, dass sie wieder unfallfrei voneinander loskommen konnten… zumal jeder von ihnen vier Arme und ebenso viele Beine besaß.
Getoppt wurde dies jedoch von einem gut und gerne acht Fuß großen Humanoiden, der Nicoles Aufmerksamkeit sofort auf sich zog. Wenn das hier eine Illusion war, dann eine der ganz hervorragenden Sorte. Wenn nicht… um den Kopf des spindeldürren Wesens kreisten Miniaturausgaben von Planeten mit ihren Monden! Der Artist - wenn er denn wirklich einer war - sah aus, als wäre er soeben unter einer Dusche hervorgetreten. Der Schweiß rann ihm in Strömen am Körper herunter. Die Ursache erkannte Nicole schnell - sein haarloser Kopf strahlte eine unglaubliche Hitze ab, die selbst die Tigerin noch trotz der Distanz spürte.
Er war… die Sonne? Der lebensspendende Mittelpunkt eines eigenen Planetensystems.
Nicole wandte sich ab, denn ihr geteilter Mensch-Raubtier-Verstand weigerte sich das Gesehene zu akzeptieren, es zu begreifen.
»Ja, der Planeten-Mann ist schon eine ganz besondere Attraktion, nicht wahr?«
Nicole fuhr herum. Die Stimme war ganz plötzlich in ihrem Kopf aufgetaucht. Ein schwarzer Panther saß scheinbar ungerührt auf einem der Podeste, die überall an der Peripherie des Dompteurkäfigs aufgestellt waren.
»Aber ich glaube, der Star der Aufführung sollst du werden. Man hört hier so einiges.« Er gähnte gelangweilt, riss sein Maul dabei weit auf. »Ich frage mich, was denn so besonders an dir ist?«
»Kümmere dich nicht um ihn.«
Weitere Kostenlose Bücher