0864 - Karas grausame Schwester
sie hatte ihr Tier geliebt.
Kara wußte nicht, wie lange sie reglos auf dem Fleck gestanden hatte. Irgendwann setzte sie sich in Bewegung und schlurfte mit schweren Schritten auf den Kadaver zu.
Der Mund und ihre Wangen zuckten, obwohl sie die Lippen zusammengepreßt hielt. Schweiß bedeckte die Handflächen ebenso wie das Gesicht. Ihr Blick war nach innen gerichtet. Zugleich spürte sie den Zorn und die Wut in sich hochsteigen.
Wer war so hinterlistig und brutal und tötete ein Tier, das ihm nichts getan hatte?
Kara wußte es nicht. Eines stand allerdings für sie fest. Einer der schwarzen Vampire war es nicht gewesen.
Man hatte das Tier am Hals erwischt. Und zwar so stark, daß der Kopf nur mehr an dünnen Sehnen mit dem Körper verbunden war. Das Blut sah aus wie ein roter Schal, und Kara konnte einen Blick auf die gebrochenen Augen des Tieres erhaschen. Es kam ihr vor, als hätte sie das Pferd im letzten Augenblick um Hilfe anflehen wollen. Aber sie war nicht gekommen, sie hatte nicht kommen können, da sie ihr eigenes Leben hatte verteidigen müssen.
Dennoch machte sie sich Vorwürfe, und ihre Hände krampften sich zusammen, als wollte sie den Griff einer Waffe umklammern. Sie schüttelte den Kopf, und sie begriff einfach nicht, wie ein Mensch dermaßen brutal und grausam sein konnte.
Wer hatte es getan?
Sicherlich keiner der Bewohner. Es mußte einen anderen Feind geben, der in diesem Ort auf sie lauerte.
Als sie sich mit diesem Gedanken vertraut gemacht hatte, gelang es ihr, sich vom Anblick des toten Tieres zu lösen. Sie drehte sich sehr langsam um und versuchte, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen.
War da jemand?
Kara lauschte in die Dunkelheit hinein. Sie wurde einfach das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Im Dunkeln lauerte der Feind und schaute zu, wie sie reagierte.
Ein Geräusch!
Leise nur, dann etwas lauter, auch leicht knirschend. Es war in der Nähe des Hauses aufgeklungen, und Kara, die sich von dem toten Tier entfernte, sah, daß sich an der Hauswand ein Schatten bewegte.
Ein menschlicher Schatten.
Sie hielt den Atem an.
Automatisch umklammerte sie den Griff des Schwertes noch härter. Sie war darauf gefaßt, mit diesem Unbekannten zu kämpfen, der ihrer Meinung nach der Mörder ihres Pferdes war.
Die Schritte nahmen an Deutlichkeit zu. Die Gestalt kam näher. Sie war hochgewachsen und blond, wie Kara erkennen konnte.
Dann blieb sie stehen.
Kara wartete.
Sie hörte eine Stimme.
Flüsternd, aber trotzdem deutlich zu verstehen. Und was diese Stimme sagte, ließ einen eisigen Stein in ihrem Magen entstehen.
»Hallo, Schwester…«
***
Schwester?
Kara hatte keine Schwester, aber sie kannte eine Person, die mal als ihre Schwester ausgegeben worden war. Die sie zuletzt auf einer Toteninsel gesehen hatte, die auch einer unschuldigen Katze den Hals umgedreht hatte, und plötzlich wußte sie, wer ihr Pferd ermordet hatte.
»Du sagst nichts?« höhnte Roya.
Nein, Kara sagte nichts. Sie konnte nichts sagen. Zu viele Gedanken jagten durch ihren Kopf. Von der Insel her hatte Roya sie entkommen lassen, allerdings mit der Warnung, ihr nicht mehr in die Quere zu kommen, denn sie wollte sich ihr Leben aufbauen, und das würde anders verlaufen als Karas.
Sie mußte auch die alte Jinneth getötet haben. Sie war dabei, eine große Dienerin der mächtigen Götter zu werden, und sie fühlte sich unter dem Zugriff des Bösen mehr als wohl.
Das Haar trug sie jetzt offen. Es hing zu beiden Seiten des Kopfes herab, und zwischen ihren hellen Locken sah das Gesicht aus wie eine steinerne Fratze.
Nichts regte sich darin. Die Lippen bildeten einen Strich, und die Augen sahen aus wie kalte Steine.
Kara fühlte etwas von dieser Erbarmungslosigkeit, die eine Person wie Roya ausstrahlte, und sie konnte sich vorstellen, daß Roya gekommen war, um endgültig abzurechnen.
Die Blonde sprach zu ihr wie eine Mutter zu ihrem kleinen Kind, das ungehorsam gewesen war.
»Warum bist du gekommen, Kara? Warum bist du hergekommen? Du hättest in deiner Stadt bleiben sollen, bei deinem Vater, der dir doch so viel wert ist. Aber du hast es nicht getan, du mußtest deinen Kopf durchsetzen - Pech für dich.«
Kara hatte den Schock ein wenig überwunden, und sie hatte auch ihre Sprache wiedergefunden.
»Was tust du hier, Roya? Was willst du hier in diesem Ort?«
»Es ist meine Welt.«
»Wirklich? Töten…?«
»Auch das.«
»Dann hast du die alte Frau ermordet?«
»Ich gebe es
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