0866 - Die Herrin der Raben
Außenfassade des prachtvoll verzierten gotischen Kirchenbaus und auf den umliegenden Häusern, sie hüpften frech zwischen den Touristen und den Straßenkünstlern hin und her, die den Platz ebenso einträchtig wie dicht bevölkerten, und jagten die zahlreichen Tauben, die panisch Reißaus ergriffen. Zamorra sah, dass einige Menschen große Bögen um die Haben machten und sie scheu, fast ängstlich musterten.
Die beiden Dämonenjäger setzten sich vor das modern eingerichtete Café und bestellten Cappuccino samt Apfelstrudel mit Schlagsahne.
»Schlagsahne?«, fragte die Bedienung. »Was soll das sein? Ach so, Sie meinen Schlagobers.«
»Ich schlage prinzipiell keinen Ober, aber wenn's sein muss, verspeise ich meinen Strudel auch mit misshandeltem Servicepersonal«, erwiderte Nicole todernst. Verwirrt verschwand die Kellnerin im Café.
Zamorra beobachtete derweil das bunte Treiben. Höflich aber bestimmt wies er einen in Rokokokleidung auftretenden Schauspieler ab, der ihm Karten für die abendliche Vorstellung seines Ensembles in der Staatsoper andrehen wollte. »Puh, von denen gibt's ja noch mehr als von den Raben«, murmelte er.
Direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes, drängten Ströme von Touristen durch das Haupttor in den Stephansdom. Einige Meter weiter stand reglos ein silbern angemalter Mann mit silbernem Umhang und silbernem Asterix-Helm auf dem Kopf. Er hielt ein Holzschwert in der Hand und bewegte sich nur, wenn sich irgendjemand mit ihm fotografieren lassen wollte.
Ein groß gewachsener, blonder Bodybuilder, dessen Bizeps fast das T-Shirt sprengte, stellte sich neben den Asterix-Verschnitt. Er redete kurz mit ihm. Im gleichen Moment kam Bewegung in die Raben. Zamorra bemerkte stirnrunzelnd, wie sie plötzliche allesamt unruhig wurden, wahlweise hektisch hüpften oder hochflatterten, dabei aber allesamt lautstark loskrächzten.
Fünfzig bis sechzig der Tiere, die auf den gotischen Rosen des Stephansdoms und auf einem reich verzierten Lichthaus saßen, flatterten auf das patinaglänzende Dach der Dombauhütte und formierten sich dort. Wie auf ein geheimes Kommando hin erhoben sie sich in die Luft, kreisten ein paar Mal und stürzten sich konzentriert auf den Bodybuilder und den Asterix-Verschnitt.
Beide fingen an zu schreien und wild um sich zu schlagen. Schon prasselten erste Schnabelhiebe auf sie ein. Blut floss.
Zamorra und Nicole sprangen auf. Sie flankten über die Absperrung und spurteten über den Platz. Menschen flüchteten in Panik, rannten kreuz und quer durcheinander, rempelten sich rücksichtslos an, schrien durcheinander. Nur einige wenige versuchten, den Bedrängten zu Hilfe zu kommen. Sie wurden ebenfalls angegriffen.
Die beiden Dämonenjäger warfen sich ins Getümmel. Zamorra fischte das Holzschwert vom Boden, das der Asterix-Imitator verloren hatte. Damit stach und schlug er nach den Vögeln, die sich jetzt wie irre gebärdeten. Nicole riss einen der Raben mit bloßen Händen vom Rücken des Bodybuilders und schmetterte ihn zu Boden. Zuckend blieb das Tier liegen. Es tat ihr leid, aber es ging nicht anders.
Schüsse peitschten über den Platz. Wahrscheinlich hatte einer der hier patrouillierenden Polizisten die Nerven verloren und feuerte nun blindwütig auf die Tiere.
Zamorra bemerkte, dass sich Merlins Stern leicht erwärmte. Eine dämonische Attacke also. »Schnell, in die Kirche!«, rief er, packte »Asterix« und schleifte den wimmernden Mann mit sich. Nicole schrie den Bodybuilder an. Der schlug wie von Sinnen um sich. Erst, als die Rabenattacken einen Moment lang ausblieben, brachte sie ihn mit zwei Schlägen auf die Wangen wieder zur Besinnung.
Der Mann starrte sie an.
»Los, zum Dom!«
Er nickte. Und rannte los. Trotzdem wurde es schwierig, die Kirche zu erreichen. Immer mehr Raben fielen über sie her, griffen sie wütend an. Der Asterix-Imitator stolperte über eine am Boden liegende Frau und schlug der Länge nach hin. Die Raben ließen ihn in Ruhe, konzentrierten sich auf Zamorra. Der wollte Merlins Stern einsetzen, aber das Amulett reagierte nicht.
»Merde«, entfuhr es ihm, während er einen Raben von seiner Schulter stieß. Zamorra stolperte ebenfalls, taumelte und fiel auf das Pflaster. Sofort verschwand er in einem Berg schwarzer, flatternder Federn. Nicole, die es mitbekam, schrie entsetzt auf.
In diesem Moment stöckelte eine blonde, aufgedonnerte Frau mit umgehängter Kamera über den Platz, direkt auf den Bodybuilder zu. »Jerry!«,
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