0867 - Emily
derartige Person begegnet. Er war ein Mensch, daran gab es keinen Zweifel, aber er war auch eine mehr als außergewöhnliche Person, die genau wußte, was sie tat.
Er zeigte keine Angst.
Dafür Emily.
Sie zuckte. Auf dem Stuhl warf es sie hin und her. Manchmal drangen Laute aus ihrem Mund, die mit der Stimme eines Menschen herzlich wenig zu tun hatten. Da gab es das unsichtbare Gitter, das sie umklammert hielt. Sie spürte deutlich, wie ihre Sicherheit allmählich abbröckelte, daß ihr Gebilde wohl nicht mehr in der Lage war, den Kampf zu gewinnen.
In ihren Ohren hörte sie überlaut ein klatschendes Geräusch. Die andere mußte in den Teich gefallen sein.
Für einen Moment erstarrte Emily. Sehr genau wußte sie, daß es nicht freiwillig geschehen war.
Dieser Mann, dieser verfluchte Hundesohn hatte dafür gesorgt.
Emily atmete nicht mehr.
Ihr Körper schien in einem engen Panzer zu stecken. Dem Frust folgte der Haß, weil sie ihn nicht lösen konnte.
Haß erzeugt Gewalt.
Emilys rechter Arm zuckte.
Ein Reflex hatte sie auf den Gedanken gebracht. Ausgangspunkt war die auf dem Tisch liegende Schere gewesen, die von einem Sonnenstrahl erwischt worden war.
Sie wuchtete ihren Körper nach vorn und stieß sich an der Kante. Das machte ihr nichts aus. Bei ihr zählte einzig und allein der Erfolg.
Ihre Hand umklammerte die Schere. Die Finger glitten in die dafür vorgesehenen Öffnungen.
Endlich.
Sie setzte sich wieder hin.
Vor ihr lag das leere Blatt. War es tatsächlich leer? Genau dort, wo einmal die Umrisse der Frau das Papier bedeckt hatten, flimmerte etwas. Es war keine Täuschung, denn der Zusammenhang bestand noch immer.
Wenn auch nicht sichtbar.
Ich habe es gemalt, dachte sie. Ich habe auch das Recht, es wieder zu zerstören.
Schnipp… schnipp… schnipp… summte es ihn ihrem Schädel.
Es waren die Fetzen der Erinnerung an andere Zeiten. Das schrille Sirren in ihrem Kopf, so hoch, als wäre ein Saiteninstrument falsch gestimmt worden.
Böse, grausam…
Aber auch ein Startzeichen.
Die Schere war geöffnet. Dann schnitt Emily zu. Die Unperson oder ich!
Das war nicht mehr die Frage, denn es hatte sich einiges verändert. Ich hörte keine anderen Geräusche. Der Vorgang lief in einer bedrückenden Lautlosigkeit ab.
Auf einmal fehlte ihr die Hälfte des Kopfes an der linken Seite. Es ging so unwahrscheinlich. Obwohl ich eigentlich darauf hätte eingestellt sein sollen, wurde ich davon noch überrascht und kam für den Augenblick gedanklich nicht weiter.
Ich schaute und registrierte.
Da war kein Tropfen Blut zu sehen. Auch die Hälfte des Schädels, die abgeschnitten worden war, entdeckte ich nicht. Sie mußte sich einfach aufgelöst haben.
Es blieb nicht dabei.
Der Horror lief weiter.
Auf einmal war der rechte Arm weg. Da die Person bis zu den Hüften im Wasser stand, konnte ich auch davon ausgehen, daß sie keine Beine mehr hatte.
Als halbfertiger »Mensch« existierte sie noch, und sie schaffte es auch, sich zu bewegen, denn der rechte Arm und auch die Waffe waren nach wie vor da.
Sie hob ihn an.
Im selben Augenblick sackte die Person nach rechts weg, als hätte ihr jemand das Bein vom Grund weggezerrt. Das war so nicht geschehen, man mußte es ihr abgeschnitten haben.
Der Rest klatschte ins Wasser und verschwand. Ich wüßte instinktiv, daß dieses grausame Spiel noch nicht beendet war, und ich hatte recht mit meiner Vermutung, denn die Person tauchte wieder auf.
Noch war die rechte Kopfhälfte vorhanden. Das Sterben geschah lautlos; nicht ein Tropfen Blut fiel dabei ins Wasser. Auch der rechte Arm war noch vorhanden, natürlich auch das Beil, aber sie wollte es nicht mehr einsetzen, denn sie hatte den Arm ausgestreckt, und die Klinge war im Wasser verschwunden.
Und dann fehlte auch er.
Von der Schulter ab war er verschwunden. Die unsichtbare Kraft hatte nichts zurückgelassen. Ich sah vor mir einen abgeknickten Körper ohne Arme, mit einem halbem Kopf, einem Brustkorb und…
Alles ging rasend schnell.
Der Rest wurde in Fetzen gehackt, in kleine Stücke, die einfach verschwanden. Es gab keine Rückstände mehr.
Es gab die Person nicht mehr, und auch ich befand mich nicht in Lebensgefahr.
Ich blieb auf der Stelle stehen. Über den Stacheldraht hinweg blickte ich auf den Teich mit der noch immer leicht unruhigen Oberfläche, aber ich sah ihn nicht direkt, mein Blick war mehr nach innen gerichtet. Ich mußte erst einmal überwinden, was ich gesehen hatte und nun als schreckliche
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