0868 - Die Toten-Krypta
in die Krypta geschaut - nickte er uns zu. »Sie sieht leer aus. Es scheint sich niemand dort aufzuhalten. Zumindest habe ich keinen gesehen.«
»Spürst du etwas?« flüsterte Shao.
»Noch nicht.«
Er ging, wir folgten ihm. Ich hielt mich als letzter auf und ließ die Tür zuschwingen.
War es dunkel? War es hell? Licht, Schatten? Ich wußte nichts. Im Innern dieser Krypta sah es einfach anders aus. Hier stimmten die Proportionen nicht mehr. Eine gewisse Helligkeit war schon vorhanden, wir entdeckten die Quelle nicht.
An den Wänden hockten die Schatten wie erstarrte Monstren. Der Boden war düster wie schwarzes Wasser. Es gab keine Bänke, keine Stühle, wir sahen auch keine Särge, wie es sich für das Innere einer Krypta gehört hätte, aber wir waren trotzdem fasziniert, denn vor uns, nur einige Körperlängen entfernt, stand der Inhalt dieser Krypta auf einem Podest. Und das mußte eben die Person oder Figur sein, von der auch Emily gesprochen hatte - La Luna.
Ja, sie war es.
Sie war kein Mensch - oder?
Suko lächelte, als er sich zu mir umdrehte. »Wäre ich Mr. Spock, würde ich jetzt sagen: einfach faszinierend.«
»Hör auf!« flüsterte Shao.
Wir wußten schon, wen Suko da gemeint hatte. Es war die nackte Frau, die den Kopf in den Nacken gedrückt hatte, damit sie gegen die Kuppeldecke hoch über sich schielen konnte. Sie war so gut wie nackt. Auch der an ihrer Seite herabfallende rechte Arm paßte zu dieser Starre. Der linke weniger, denn ihn hatte sie angewinkelt und in Höhe der bloßen Brust vor ihren Körper gehalten, wobei die Finger den Griff eines kunstvoll hergestellten Degens oder Säbels umfaßten, dessen Stahl ein kaltes Schimmern abstrahlte. Über den Arm hatte sie zudem einen blutroten Mantel gehängt, der durch seine Faltung mehr wie ein Stück breiter Gardinenstoff wirkte. Die Hand, die den Griff der Waffe hielt, steckte zudem in einem Handschuh, und sicherlich nicht nur ich war von diesem Bild fasziniert, wobei ich mir die Frage stellte, was mit ihr los war.
Lebte sie? War sie tot?
Oder existierte sie gar in einem Reich zwischen Leben und Tod. Es war alles möglich, denn wir hatten es hier mit einer magischen Kraft zu tun, auf die mein Kreuz allerdings nicht reagierte, denn ich spürte auf meiner Brust nicht das geringste Anzeichen einer Erwärmung.
Die Haltung ihres Kopfes fiel nicht nur mir auf. Shao, die sich an mir vorbeigedrängt hatte, neben Suko stand und seine Hand hielt, flüsterte ihm etwas zu. Ich konnte die Worte soeben noch verstehen. Shao war der Meinung, daß die Person deshalb in die Höhe schaute, weil sie auf der Suche nach dem Licht war.
»Licht?«
»Ja, oben ist es heller.«
Sie hatte recht. Aus der Decke drang tatsächlich ein dünner, sehr schwacher und auch ungemein blasser Schein, und der wiederum konnte nur vom Mond abgegeben werden. Wir hatten also mit unserer Vermutung beinahe recht behalten. Der Mond stand direkt über der Krypta und schickte seinen Schein gegen den Bau. Wahrscheinlich befand sich in der Spitze ein Fenster oder eine Öffnung, die den Schein hindurchließ.
Auch ich ging zu den beiden. Shao stand jetzt zwischen uns. Sie atmete hörbar. Dabei fragte sie:
»Ist sie tot?«
»Es sieht so aus«, murmelte ich.
»Daran kann ich nicht glauben.«
»Aber sie bewegt sich nicht«, murmelte Suko.
»Ich werde sie anfassen!«
Shao schaute mich erschreckt an, Suko aber nickte. Sicherlich hatte auch er mit dem Gedanken gespielt. Wenn es sein mußte, wollte ich so schnell wie möglich mein Kreuz erreichen. Deshalb wechselte es seinen Platz. Ich ließ es in der Tasche verschwinden.
Bis zu dieser Statue war es nicht weit. Ich hatte den Eindruck, als würde La Luna auf mich warten.
Da sie auf einem Podest stand und sowieso nicht zu den Kleinsten gehörte, mußte ich, um in das Gesicht sehen zu können, an ihr hochschauen.
Ich blickte gegen ihr Kinn, sah den Schwung des Halses und stellte auch fest, daß ihre Figur perfekt war, eben wie geschaffen von der Hand eines Künstlers.
Sie stand da. Einfach nur so. Aber so simpel war es nicht. Mich störte etwas. Nur wußte ich nicht, was es war. Warum stand sie da und hatte den Kopf zurückgelegt.
La Luna, der Mond. Sie wartete auf den Mond, sie wartete auf den Schein, der durch die Öffnung hoch über ihrem Kopf floß und sich auch verteilte. Ich konnte mich irren, aber es war durchaus möglich, daß sich der Schein in den letzten Minuten intensiviert hatte, als wäre der Mond mit seinem Licht
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