0875 - Die Rückkehr des Jägers
Nachtluft. Es waren nur noch wenige Menschen unterwegs. Immer wieder drehten sich Passanten nach ihm um, um sich zu vergewissern, dass wirklich er es war, der gerade an ihnen vorüberging. Seit CTN in jeder Werbepause mit Pauken und Trompeten Die Rückkehr des Jägers ankündigte, war es vorbei mit der Anonymität, die Jean Fournier in den letzten Jahren eingehüllt hatte wie ein Leichentuch.
Mit der von ihm seit jeher kultivierten Arroganz ignorierte Jean die neugierigen Blicke, doch tatsächlich genoss er die wieder gewonnene Aufmerksamkeit. Sie war für ihn wie ein Lebenselixier. Fast beschwingt setzte er seinen Weg fort, als er die Schritte hörte. Sie erklangen wenige Meter hinter ihm, und ihr Rhythmus stimmte genau mit seinem überein. Jemand verfolgte ihn. Und dieser jemand war nicht besonders vorsichtig.
Das ließ nur zwei Schlüsse zu. Entweder war sein Verfolger ein blutiger Anfänger, oder er war sich seiner so sicher, dass es ihm völlig egal war, ob seine Beute ihn bemerkte. Und das bedeutete höchstwahrscheinlich, dass er auf einen Kampf aus war.
Jean spürte, wie sich seine Nackenhärchen aufrichteten. Es war lange her, dass er jede Sekunde mit einem Angriff von Berakaas Schergen rechnen musste. Die letzten Jahre waren ruhig gewesen. Zu ruhig. Ein Schauer der Erregung durchlief den Jäger. Wie zufällig berührte er im Gehen die Stelle seines Mantels, unter der sich sein magischer Dolch verbarg, die Klinge der Vergeltung.
Schnell sondierte Jean das Gelände, bis er entdeckt hatte, was er suchte. Wenige Meter vor ihm bog eine schmale Gasse von der Straße ab. Wenn er die nahm, würde er seinen Verfolger zwingen, sich zu offenbaren - oder die Verfolgung abzubrechen. Doch Jean hoffte, dass es nicht soweit kommen würde. Ein bisschen Training konnte nicht schaden.
Er tat so, als wollte er weiter geradeaus schlendern. Dann, im letzten Moment, trat er in die menschenleere Gasse. Die Schritte stoppten abrupt. Eine Sekunde lang geschah nichts. Dann setzte der Verfolger seinen Weg entschlossen fort und bog ebenfalls ab. Mit zum Zerreißen gespannten Nerven ging Jean noch ein paar Meter weiter, bis sie die Straße weit genug hinter sich gelassen hatten. Dann drehte er sich mit einem grimmigen Lächeln um und fixierte den Unbekannten, der ebenfalls stehen geblieben war.
Der Mann sah nicht besonders beängstigend aus. Er war hager, von kleinem Wuchs und hatte vermutlich noch nie ein Sportstudio von innen gesehen. Er trug einen braunen, knittrigen Trenchcoat, einen altmodischen Hut und eine Brille.
Doch das böse Lächeln, das seine Lippen umspielte, verriet Jean nur zu deutlich, dass er mit seiner Einschätzung richtig gelegen hatte.
»Monsieur Fournier, es erfreut mich, dass der berufliche Misserfolg Ihre Instinkte nicht völlig verschüttet hat.«
»Kennen wir uns?«
Der Mann kicherte in sich hinein.
»Nein, bisher hatten wir noch nicht das Vergnügen. Was ich zutiefst bedauere. Aber Ihre neuerlichen… Aktivitäten haben bei meinem Arbeitgeber ein gewisses Missvergnügen ausgelöst.«
»Missvergnügen?« wiederholte Jean spöttisch. »Das betrübt mich aber außerordentlich.«
»Das sollte es auch, Monsieur Fournier. Die Mächte, denen ich zu Diensten bin, sind nicht zu Späßen aufgelegt. Und sie neigen auch nicht gerade zur Nachsicht, wenn man ihre Kreise stört.«
»Und welche Mächte sollen das sein?«
»Oh, ich denke, das wissen Sie sehr gut, Monsieur Fournier.«
Tatsächlich hatte Jean nicht den blassesten Schimmer, welche Höllenbewohner die Ankündigung seiner Rückkehr aufgeschreckt haben mochte. Und für den Moment war es ihm auch egal. Hauptsache, er bekam einen guten Kampf.
Unauffällig verlagerte der Jäger sein Gewicht, um in eine bessere Angriffsposition zu kommen. Wie zufällig schob seine rechte Hand den Mantel etwas zur Seite und berührte die Klinge der Vergeltung.
Der Unbekannte hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Wie ein zerstreuter Buchhalter nahm er seine Brille ab und putzte sie an seinem Mantelaufschlag.
»Es wäre wirklich besser für Sie gewesen, wenn Sie in der Versenkung verschwunden geblieben wären, Monsieur Fournier. Unter dem Stein, unter dem Sie sich verkrochen hatten, haben Sie niemanden gestört. Ich fürchte, jetzt müssen wir ein Exempel statuieren.«
»Und was wollen Sie jetzt tun? Mir den Arsch versohlen?«
Der Fremde kicherte. »Es freut mich, dass Sie Ihren Humor nicht verloren haben. Sie werden ihn brauchen.«
Und dann griff er an. Die
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