0884 - Mondwölfe
Reißen, als sollten seine Glieder zerfetzt werden.
Er röchelte und schüttelte sich.
Er wollte es nicht. Er wollte es überhaupt nicht, aber es war ihm auch nicht möglich, gegen das andere in seinem Innern anzukämpfen. Es klappte einfach nicht. Diese zweite Person in ihm war stärker, sie würde das Menschliche zurückdrücken.
Noch war er in der Lage, klar und logisch zu denken, wie ein Mensch. Und dieser Mensch teilte ihm mit, daß er als ein Untier keinesfalls in seiner Wohnung bleiben konnte. Er mußte raus, er mußte weg. Diese vier Wände konnten einfach nicht die Heimat eines Monstrums sein. Das Grauen hatte Methoden bekommen, und ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zu beugen.
Weg ja, aber wohin?
Darüber machte sich Jackson keinerlei Gedanken. Raus aus der Wohnung! Er wollte auch nicht laufen, sondern flüchten. Im Hof hinter dem Haus befanden sich noch die alten Ställe. Zumindest waren sie das früher gewesen, bevor sie ihr Besitzer notdürftig ausgebessert und daraus Garagen hergestellt hatte. Anwohner hatten dort ihre Autos abgestellt. Da waren sie einigermaßen sicher.
Mit einem Auto flüchten zu wollen, bedeutete gleichzeitig auch, sich hinter das Steuer zu setzen, um es zu lenken. Jackson hatte sich nie davor gefürchtet, in dieser Lage jedoch überlegte er, ob seine Nerven stark genug waren, einen Wagen fahren zu können.
Es gab keinen anderen Weg. Raus aus diesem Viertel, auch raus aus London!
Bill bewegte seinen Mund und hatte das Gefühl, die Winkel würden einreißen. Ein scharfer Schmerz wühlte durch seine Lippen bis hoch in die Wangen.
Er knurrte und schüttelte sich.
Dann fuhr er mit seinen Prankenhänden über das Gesicht hinweg. Das Erschrecken war nur kurz, da er so gut wie keine Haut spürte, sondern größtenteils Fell.
Auch da!
Ein jaulender Laut, vergleichbar mit dem einer gequälten Kreatur, verließ seinen Mund. Er duckte sich und schüttelte auf dem Weg zur Tür gleichzeitig den Kopf. Mitnehmen wollte er kaum etwas.
Nur seine Barschaft steckte er ein, nachdem er die Tür des Küchenschranks aufgerissen hatte. Das Geld hatte in einer alten Suppenschüssel gelegen, einem Erbstück einer verstorbenen Tante.
Er knüllte die Scheine zusammen und steckte sie in die Hosentasche. Einen Pullover streifte er noch über und bemerkte dabei, wie der Stoff über das Fell seines Gesichts glitt und es leicht zusammendrückte. Dann ging er in das winzige Bad, wo auch der Spiegel hing.
Er schaute hinein!
Nein, das war er nicht!
Kein klares Gesicht malte sich dort ab, es war vielmehr ein konturenloser Schatten, der mehr aussah wie ein dreidimensionales Gebilde, ein Hologramm, das inmitten der Spiegelflächen schwebte. Er kam damit nicht zurecht, schüttelte sich, preßte eine Hand vor sein Gesicht und krümmte auch die Finger.
Bill spürte den Einstich der Krallen. Er wußte nicht mal genau zu sagen, wie menschlich oder weniger menschlich sein Gesicht war. Zumindest in der unteren Hälfte hatte es sich verändert, da war kein Mund mehr zu spüren, dafür ein Gewächs, das sich seinen Weg nach vorn gebahnt hatte, wo es spitz und zugleich auch kantig vorlief, als wäre es eine Schnauze.
Ja, Schnauze. Ja. Maul!
Ein Raubtier, ein Untier!
Jackson brüllte auf. Der Schrei war schrecklich. Er zitterte an den Wänden entlang, als wollte er sie zertrümmern. Wer ihn hörte, konnte nicht sagen, ob es der Schrei eines Menschen oder eines Tieres gewesen wäre.
Er war einfach nur grauenhaft!
Und er ebbte schließlich in einem langen Heulton ab, bis er schließlich verstummte.
Bill Jackson taumelte zurück. Der Mann versuchte zu denken, und er dachte darüber nach, ob er noch ein Mensch oder schon völlig degeneriert war.
Noch nicht ganz. Er befand sich nur auf dem Weg dorthin. In seinem Innern kämpften die beiden Seelen miteinander.. Auf der einen Seite die Bestie, auf der anderen der Mensch.
Noch hatte keine den Sieg errungen, und Jackson wollte die Gunst der Stunde nutzen.
Noch konnte er weg. Er brauchte nur die Wohnung zu verlassen und zu den Garagen zu laufen. Das tat er auch.
Vom Garderobenhaken zerrte er seinen Mantel weg. Im Flur streifte er ihn über.
Die Tür hämmerte er laut zu. Für ihn war es ein Signal. Er wußte, daß er diese Wohnung nie mehr wiedersehen würde…
***
Rita Buckly hatte uns die Adresse hinterlassen, und wir waren einen Weg gefahren, der nicht eben in den Teil der Stadt führte, der auf den bunten Hochglanzbildern der Prospekte zu sehen war.
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