0884 - Mondwölfe
Da gab es keine historischen Gebäude, Museen oder Schlösser, denn wer hier lebte, der schlug sich schlecht und recht durchs Leben. Der existierte von der Hand in den Mund, falls er überhaupt einen Job hatte.
Es gab nur wenige Geschäfte. Und wenn, dann verkauften sie zumeist gebrauchte Klamotten, denn die konnten sich die Käufer gerade noch leisten.
Ein grauer Tag. Der Nebel lag nicht mehr so dicht. Dünner Dunst schwebte über der Stadt wie ein Leichentuch, das sich nicht entscheiden konnte, ob es nun fallen sollte oder nicht. Zum Glück war es wärmer geworden.
Suko und ich waren ziemlich schweigsam. Obwohl wir es nicht aussprachen, hingen wir doch beide mehr mit den Gedanken in der Vergangenheit als in der Gegenwart.
Wir hatten vor einigen Wochen - vier oder fünf - die Begegnung mit Morgana Layton gehabt, und schon damals war uns klar gewesen, daß dies erst der Beginn gewesen war.
Sie und ihre Diener hatten die Opfer gefunden. Die Männer in dem billigen Stripschuppen waren auch gebissen worden. Später dann, als sie in der Klinik lagen, hatten sich an genau den Stellen seltsame Phänomene gezeigt. Da war dann die Haut verschwunden gewesen, und wir hatten statt dessen kaltes Mondlicht gesehen.
Ein Phänomen, fürwahr, das auch wieder verschwunden war, nachdem sich Morgana zurückgezogen hatte.
Wir waren sehr skeptisch und mißtrauisch gewesen. Zu recht, wie sich nun herausgestellt hatte.
Bill Jackson war nur einer von sechs Verletzten gewesen. Immer wieder mußte ich daran denken, und ich spürte es kalt meinen Rücken hinabrinnen, wenn ich mir vorstellte, daß auch die anderen fünf Infizierten das gleiche erlebten wie Jackson.
Suko hatte sich mit dem gleichen Gedanken beschäftigt. Er sagte: »Wenn wir Jackson besucht haben, John, werden wir uns auch um die anderen kümmern müssen.«
»Da sagst du was.«
»Es müßte einfach sein, die Namen und Adressen herauszufinden. In der Klinik werden sie noch alles gespeichert haben.«
»Das denke ich auch.«
»Gehen wir mal davon aus, daß bei den anderen fünf Verletzten das gleiche Phänomen passiert ist. Das der Keim durch Morgana gelegt wurde und sie nun dabei sind oder dabei waren - es kann ja unterschiedlich schnell gehen -, sich zu verwandeln. Da käme dann noch einiges auf uns zu, und nicht nur auf uns. Ich danke auch, daß die Männer in bestimmten Verhältnissen leben. Verheiratet sind, auch Kinder haben. Da wird sich jede Frau oder jedes Kind bedanken, plötzlich als Ehemann oder Vater einen Werwolf in der Wohnung zu wissen.« Er sah meinen leicht bösen Blick und winkte ab. »Es braucht nicht so zu kommen, aber wir sollten schon damit rechnen, sage ich mal.«
»Kein Einspruch.«
Suko deutete nach draußen. »Das Wetter ist ideal. Sie können sich verstecken, und wenn mich nicht alles täuscht, soll der Nebel wieder dichter werden. Das jedenfalls wurde in den Nachrichten behauptet. Wir werden einen typischen Londoner Spätherbst bekommen, da können sich dann alle freuen.«
»Alle?«
»Ja, die es immer gewußt haben.«
Ich grinste nur müde. Zudem mußte ich achtgeben, daß wir uns nicht verfuhren. Die Gegend war nicht nur düster, sondern auch eng. Zwar gab es Straßen, die aber verdienten den Namen kaum. Es waren mehr Gassen, durch die wir krochen.
Die nächste war es dann.
Ich lenkte den Rover um eine Kurve, vorbei an einem mächtigen und alten Eckmietshaus, in dessen unterer Etage sich ein Pub befand, dessen zwei Fenster mit Plakaten verklebt waren, auf denen Sonderangebote offeriert wurden.
So konnte man einen Sandwich zusammen mit einem Bier zu einem Preis erstehen, der fünfzig Prozent unter dem in der City lag. Hier war eben alles anders.
Eines jedoch war gleich. Es würde für uns kaum möglich sein, einen Parkplatz zu finden. Zu dicht standen die Autos hintereinander. Sie sahen ebenso grau aus wie die Fassaden der Häuser, wobei es immer wieder schmale Durchfahrten gab auf Hinterhöfe, in denen sich sicherlich ebenfalls noch Anbauten und weitere Bausünden verteilten.
Suko deutete nach links. »Wenn mich nicht alles täuscht, müssen wir dort hinein.«
»Schon gesehen.«
»Wenn du in der zweiten Reihe parkst, treten sie uns die Kiste ein, sage ich mal.«
»Dann eben nicht«, murmelte ich und fuhr weiter. Es war gut, daß ich so reagiert hatte, denn am Ende der Straße entdeckte ich eine Lücke, in die unser Rover soeben noch hineinpaßte. Ich rangierte einige Male hin und her, dabei wurden wir von einigen jungen
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