0884 - Mondwölfe
Männern beobachtet, die feixten, weil sie damit rechneten, daß ich es nicht schaffen würde. Aber sie hatten sich verrechnet. Der Rover stand schließlich in der Lücke, ohne ein anderes Fahrzeug berührt zu haben.
Wir stiegen aus, ich schloß ab, für die jungen Burschen waren wir uninteressant geworden.
Kinder liefen uns entgegen, die Schultaschen trugen. In einem schmalen Schlauch, mehr war das Lokal nicht, schnitt ein glatzköpfiger Mann an einem Gyros-Klumpen herum und hörte dabei griechische Volksmusik aus dem Radio.
Wir gingen die Strecke zurück. Ich spürte in meinem Innern eine seltsame Spannung. Was es genau war, konnte ich nicht erklären. Bestimmt keine Vorfreude, denn wir mußten, wenn sich dieser Bill Jackson tatsächlich verwandelt hatte, mit dem Schlimmsten rechnen.
Er lebte in einer bewohnten Gegend. Wenn er schon in den Zustand der Bestie übergegangen war, dann würde sein Menschsein verschwunden sein. Dann war er auf der Jagd, und es gab eigentlich nur eine Chance für die Nachbarn.
Entweder schafften sie schnell genug die Flucht, oder sie vertrauten darauf, daß der Trieb des Werwolfs erst dann durchbrach, wenn die Dunkelheit über das Land herabfiel und sich am Himmel der Vollmond zeigte.
Es waren Spekulationen, mehr nicht. Ich hoffte trotz allem noch, daß sich Rita Buckly geirrt hatte, das allerdings würde ich mir sicherlich abschminken können.
Die Enge der Straße wirkte bedrückend. Hinzu kam der Himmel. Er lag wie grauer Kunststoff über uns. Oder war es der Dunst? Wir wußten es selbst nicht, weil beides ineinander überging.
Die meisten Fenster der Häuser waren geschlossen. Nur hin und wieder zeigte sich ein Gesicht hinter den ebenfalls grauen Scheiben, das sehr bald wieder verschwand.
Nicht an allen Häusern waren die Hausnummern noch vorhanden. Aber zu dem Haus, in dem Bill Jackson lebte, gab es eine Einfahrt zum Hinterhof. Weggeworfene Dosen, Papier und auch Flaschen verteilten sich auf dem Boden.
Wir blieben vor der Haustür stehen.
Rita Buckly hatte uns erklärt, daß wir bis nach oben mußten. Natürlich zu Fuß, denn einen Fahrstuhl gab es nicht.
Die Tür war nicht verschlossen. Wir würden sie aufdrücken können, in den Flur gehen und…
Ich hatte plötzlich den Eindruck, als wäre das alles gar nicht wahr. Etwas überschwemmte meine Sinne. Um was es sich handelte, wußte ich selbst nicht, vielleicht war es eine Ahnung oder ein Wissen. Jedenfalls löste sich das Rätsel, als wir plötzlich einen Laut hörten, der bestimmt nicht von einem Menschen ausgestoßen worden war.
So heulte kein Mensch.
Aber ein Wolf!
***
Es ging doch nicht alles so glatt, wie Jackson es sich vorgestellt hatte. Zwar war es ihm gelungen, den unteren Bereich zu erreichen, ohne gesehen zu werden, aber in dem Augenblick, als er die Treppe verlassen hatte, da öffnete sich eine der beiden Türen in seiner Nähe. Eine Lichtbahn fiel in den Flur, nicht so weit, daß sie ihn erreicht hätte, aber sie zwang ihn in Deckung.
Er zog sich zurück.
Gerade noch rechtzeitig genug. Unter der nach oben führenden Treppe fand er sein Versteck, hörte die Stimme einer Frau und die eines Kindes. Die Frau regte sich fürchterlich darüber auf, daß ihr Junge nicht in die Schule gegangen war und mal wieder geschwänzt hatte. Jetzt prügelte sie ihn aus der Wohnung und schlug die Tür wuchtig zu.
Der Junge prallte mit dem Rücken gegen die Wand. Er grinste noch. Dann streckte er der verschlossenen Tür die Zunge heraus, trat wütend auf und bedachte seine Mutter mit einem Schimpfwort.
Leben pur!
Seine Blickrichtung stufte Jackson als gefährlich ein. Sie war aber nicht auf den Punkt konzentriert, an dem er sich aufhielt. Bill war in den tiefsten Schatten gekrochen und hatte sich dort hingekauert.
Was tat der Junge?
Erst einmal nichts. Er blieb stehen, murmelte vor sich hin und strich durch sein zotteliges Haar. Und Jackson spürte wieder die Gier in sich hochsteigen.
Da stand ein Mensch.
Er war aus Fleisch.
Blut rann durch seine Adern.
Leben…
So und nicht anders reagierte die Bestie in ihm. Zugleich gab es noch die zweite Seite in seinem Innern, die menschliche, und die wiederum sagte ihm, daß er vorsichtig sein mußte. Die Zeit war noch nicht reif. Sie würde kommen, aber nicht jetzt. Er mußte der Stadt entfliehen und zu seinem Ziel gelangen.
Er bewegte seine Schnauze. Wieder spürte er in seinem Gesicht das heftige Ziehen, und er wußte auch, daß die Verwandlung noch nicht beendet
Weitere Kostenlose Bücher