0891 - Fu Longs Rückkehr
wieder dasselbe, dachte der chinesische Vampir. Es ist die Selbstüberschätzung, an der die Mächtigen leiden und über die sie letztendlich immer fallen. Hybris nannten das die alten Griechen. Und jetzt wird Lucifuge Rofocale ebenfalls darüber fallen.
Und er wird tiefer fallen, als jeder andere vor ihm. Vielleicht auch deshalb, weil er sich - auch wenn es im Bösen war - höher als jeder andere vor ihm erhoben hatte. Fu Long schoss der Gedanke durch den Kopf, wie sehr Jin Mei diese poetische Gerechtigkeit dieser Situation zu schätzen gewusst hätte. Doch der Gedanke tat weh und er verdrängte ihn schnell.
Leise Schritte wieâen ihn darauf hin, dass sich die beiden Amazonen zusammen mit dem Haushofmeister näherten.
»Ihr wollt doch im Namen eurer Fürstin in der Nähe des Geschehens bleiben«, wandte sich Fu Long an die beiden Mädchen. »Ist das noch so?«
Die zwei Kriegerinnen sahen sich an und nickten dann.
»Seid ihr bereit, euch in Lebensgefahr zu begeben, um den Befehl eurer Fürstin zu befolgen?«
»Lebensgefahr?«
Fu Long musterte die beiden Kriegerinnen kalt. »Habt ihr etwa Angst?«
»Nein«, beeilte sich die eine, die ihn auch aufgesucht hatte, zu sagen. »Wir sind Amazonen. Wir haben keine Angst vor der Gefahr.«
»Gut.« Fu Long sah die beiden noch ein paar Sekunden an und meinte dann: »Ich werde gleich aufbrechen. Ich habe eurer Fürstin zugesagt, eure Kampfkraft nicht zu gebrauchen. Ihr werdet nur zusehen, damit ihr Stygia von dem berichten könnt, was sich ereignen wird. Ich brauche Zeugen, denen sie traut.«
Ling und Tanera sahen sich noch einmal an. Der Herr dieser Stadt flößte ihnen Respekt ein. Es war Tanera, die nach einem Moment des Schweigens das Wort ergriff. »Wir werden es der Herrin berichten.«
»Gut«, wiederholte Fu Long. »Vorab kann ich euch folgendes sagen: Lucifuge Rofocale befindet sich in meiner Stadt, und er versucht erneut, Kuang-Shi aufzuwecken. Das ist eine Gefahr, die auch eure Fürstin mit allen Mitteln zu vermeiden versuchen sollte. Es ist nicht in ihrem Interesse, Kuang-Shi auf das Multiversum loszulassen, also wird sie gut daran tun, meinem Rat zu folgen.«
Die beiden Mädchen nickten kurz.
»Dann folgt mir jetzt. Ihr werdet meinen Befehlen gehorchen, habt ihr das verstanden?«
***
Alles war vorbereitet.
Nichts fehlte mehr. Der Kuang-Shi-Tempel stand etwas außerhalb der Stadt und war eigentlich die alte Sommerresidenz des Wolfsdämonen gewesen. Seit Fu Long hier in Choquai herrschte, war es nur den wenigen Tulis-Yon noch gestattet, sich hier aufzuhalten. Ein beinahe überflüssiges Gebot, denn die Bewohner der Stadt trauten den Werwölfen nicht über den Weg. Wer wusste schon, ob sie den Befehlen von Fu Long gehorchten und keine Menschen angriffen!
So war es für Lucifuge Rofocale ein Leichtes gewesen, die rund 15 Tulis-Yon, die hier noch den Dienst an ihrem ehemaligen Herrn verrichteten, auf seine Seite zu ziehen. Vier von ihnen hatten sich freiwillig dazu entschieden, ihr Blut zu opfern, damit ein neuer Hong Shi hergestellt werden konnte; schon lange waren sie des ewigen Friedens in dieser Stadt überdrüssig. Sie trauerten der Herrschaft Kuang-Shis hinterher und vermissten die Tage, in denen es erlaubt war, Menschen wenn schon nicht in Choquai selbst, so doch auf der Erde zu reißen, ihr Blut zu trinken und ganz sie selbst zu sein.
Und nicht dieses Leben hier zu fristen, dieses Leben von Gefangenen in einem Käfig.
Als einer der ihren aufgetaucht war und ihnen gesagt hatte, was er vorhatte und dass Kuang-Shi ihnen zum Dank für ihre Hilfe Choquai ihnen überlassen würde, hatten sie das nur zu gern geglaubt. Vier von ihnen hatten sich freiwillig angeboten, beim nächsten Vollmond - also heute - zu sterben. Es würde sich lohnen, für die einzig wahre Art zu leben - als Tulis-Yon, für die Jagd, für das Blut der anderen, für die Leidenschaft und das Brennen. Sie wollten wieder stark sein und das tun, wozu sie geboren waren: Über andere herrschen.
Lucifuge Rofocale hatte im Allerheiligsten des Kuang-Shi-Tempels alles für das Ritual aufgebaut. Das altertümliche Opfergefäß, in dem das Blut der Opfer gesammelt und schließlich mit dem Kuang-Shis vermengt werden würde, stand bereits da, nicht weit von dem schwebenden Wolfsdämon entfernt. Die elf übrigen Wächter, alle in der alten Uniform der Wächter des Wolfsdämons Kuang-Shi mit dem stilisierten Wolfskopf als Emblem auf der Brust, hatten sich um das Opfergefäß im Halbschatten
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