0895 - Schattenkiller
aufklang.
Meine Sinne schlugen Alarm. Freund Marco hatte das Knurren überhört, er wollte losrennen, und ich schaffte es gerade noch, ihn zu stoppen. Mein vorschnellendes Bein stellte sich zwischen seine, und das brachte ihn aus dem Gleichgewicht.
Plötzlich riß er die Arme hoch, er fiel auf den harten Boden, schrie auf, weil er sich die Knie gestoßen hatte, und dabei sah ich, von wem das Knurren stammte.
Die beiden Hunde hatten sich hinter dem Schreibtisch gelöst. Sie mußten neben der Frau gehockt haben, und es waren nicht nur einfache Hunde, sondern gefährliche und häßliche, auf Menschen abgerichtete Pit Bulls.
Wenn sie einmal eine Beute hatten, zerfleischten sie diese bis auf die Knochen…
***
Die Ratte hatte mit ihrer Schnauze oder mit ihren Zähnen an Lucilles linkem Ohrläppchen gezupft.
Ein Stich, kaum als Schmerz zu bezeichnen, aber sie spürte den feuchten Tropfen, der aus der Wunde wie eine kleine Perle gequollen war.
Blut!
Und Blut macht Ratten wild, so glaubte zumindest Lucille. Sie tat nichts, aber was hätte sie auch tun können? Zumindest Schreie ausstoßen, um die Ratten zu erschrecken. Das schaffte sie ebenfalls nicht, und so stand sie da und wartete.
Der zweite Biß, der dritte und…
Keiner folgte. Sie hörte das leise Schmatzen der Ratte auf ihrer Schulter, dann die nächste Berührung an ihrem Ohrläppchen. Ein leichter Touch mit der Rattenzunge, die sich den nächsten Tropfen holte und trank. Zugleich bewegte sich die zweite Ratte weiter. Sie kletterte am Körper der Gefangenen in die Höhe, und sie hatte sich dazu die rechte Seite ausgesucht.
Schnell und elegant wieselte sie in die Höhe. Nicht an der Brust entlang, wie es die erste Ratte getan hatte, sondern über den Arm hinweg bis zur rechten Schulter, wo sie hockenblieb.
Sie wartete.
Auch Lucille wartete. Sie wußte, daß die Ratte auch zubeißen wollte, und die lauerte praktisch darauf, daß dieses Tier ihr anderes Ohrläppchen anknabberte.
Das tat es nicht.
Beide Ratten hockten auf ihren Schultern wie zwei Leibwächter, und sie bewegten sich auch, denn sie starrten ihr Opfer nicht mehr an, sondern schauten nach, als könnten sie vor der Mauer eine Beute entdecken.
Warum bissen sie nicht? Warum leckten sie nicht ihr Blut? Sie, mußten doch hungrig sein. Auf was warteten sie?
Lucille wußte es nicht. Auch wenn sie versucht hätte, es herauszufinden, es wäre ihr nicht gelungen, weil sie die Gedanken einfach nicht kontrollieren konnte. Sie wanderten immer wieder weg, und der einzige Verlaß waren ihre Augen.
Die nahmen plötzlich etwas wahr!
Eine huschende Bewegung in dem trüben Licht, wobei die Bewegung mit keinem noch so geringen Geräusch verbunden war. Da war etwas dabei, sich ihr völlig lautlos zu nähern.
Lucille war irritiert, denn sie erinnerte sich nicht mehr genau daran, wo sie die Bewegung gesehen hatte. Rechts, links - direkt vor ihr? Sie wartete, und die beiden Ratten warteten ebenfalls. Die linke leckte nicht mehr an ihrem verletzten Ohrläppchen, aber beide Tiere waren unruhiger geworden. Sie standen nicht mehr still. Ihre Beine mit den Krallen bewegten sich auf der Stelle, sie durchdrangen den Stoff des Pullovers, und Lucille spürte wieder das Kratzen auf ihrer Haut und ebenfalls die warme Nässe des Blutes.
Sie preßte ihre Finger zusammen. Es fiel ihr schwer, da sie steif geworden waren. Das Blut zirkulierte nicht mehr so, wie es sein mußte, überhaupt hatte sich alles verändert, und die Ratten wurden von Sekunde zu Sekunde nervöser, als würde sich ihnen eine tödliche Gefahr nähern.
Lucille bewegte ihre Augen. In den letzten Sekunden war sie innerlich aufgeputscht worden, und sie hörte sich auch heftiger atmen. Es glich schon einem abgehackten Keuchen.
Plötzlich verließ die erste Ratte ihre linke Schulter. Sie hatte sich noch einmal abgestemmt, bevor sie dem Boden entgegenflog und landete. Sie schaute sich aufmerksam um, als wollte sie herausfinden, welche Gefahr durch den Keller schlich.
Lucille sah nichts.
Aber die zweite Ratte sprang von ihrer Schulter, ohne Lucille gebissen zu haben. Mit einem klatschten Laut landete sie dicht neben ihrem Artgenossen, und über beide Körper fiel plötzlich ein dunkles Gespinst, der Schatten.
Lucille brauchte nicht hochzuschauen, um zu wissen, wer dieser Schatten war. Sie kannte ihn, sie hatten ihn selbst gespürt, er hatte sie in ihren Träumen verfolgt, er war der wahre Herrscher dieses verfluchten Klosters, und er bewies ihr, wozu er
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