09 - Denn sie betrügt man nicht
genau übereinstimmten.
»Ich hab' das alles nicht so gemeint«, sagte Rachel. »Was weiß ich denn schon von der Liebe? Ausgerechnet ich. Und von der Ehe hab' ich noch weniger Ahnung. So, wie ich aufgewachsen bin! Ich meine, meine Mutter war vielleicht irgendwann mal zehn Minuten lang verheiratet. Und sie behauptet, sie hätte es aus Liebe getan. Da hast du's.«
Sahlah faltete die Windel noch zweimal und legte sie auf den Stapel am Ende des Bügelbretts. Sie ging zum Fenster und sah nach ihren Neffen. Ganz überflüssig, dachte Rachel. Die schliefen doch wie die Toten.
Sie zuckte innerlich zusammen bei dem Vergleich. Sie mußte unbedingt daran denken, während ihres Besuchs in diesem Haus gerade dieses Wort nicht zu gebrauchen oder auch nur zu denken.
»Es tut mir leid, Sahlah«, sagte sie.
»Du hättest mir kein Geschenk mitzubringen brauchen«, erwiderte Sahlah leise.
»Verzeihst du mir? Bitte, sag, daß du mir verzeihst. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mir nicht verzeihst.«
»Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen, Rachel.«
»Das heißt, daß du mir nicht verzeihst, stimmt's?«
Die feingeschnitzten Beinperlen von Sahlahs Ohrringen schlugen leise klirrend aneinander, als sie den Kopf schüttelte. Aber sie sagte nichts.
»Bitte, nimm das Geschenk«, sagte Rachel. »Als ich es gesehen habe, habe ich sofort an dich gedacht. Mach es auf. Bitte!« Sie wünschte so sehr, sie könnte die Bitterkeit ihres letzten Gesprächs vergessen machen. Sie wünschte verzweifelt, sie könnte ihre Worte und ihre Anklagen zurücknehmen; sie wollte nur ihre Freundin wiederhaben.
Nach einem Moment der Überlegung seufzte Sahlah leise und nahm das Päckchen entgegen. Sie betrachtete das Geschenkpapier, ehe sie es entfernte, und Rachel freute sich, als sie sie über die Bilder der Kätzchen, die tolpatschig mit einem Knäuel Garn spielten, lächeln sah. Sie berührte eins mit der Fingerspitze. Dann schob sie das Band von der Schachtel und riß vorsichtig den Klebstreifen ab. Nachdem sie den Deckel des Kartons abgenommen hatte, hob sie das Kleidungsstück heraus und strich mit den Fingern behutsam über die goldenen Fäden.
Rachel wußte, daß sie gut gewählt hatte. Der sherwani- Mantel war lang. Er hatte einen hohen Kragen. Nichts an ihm beleidigte Sahlahs kulturelle oder religiöse Sitten. Mit einer langen Hose getragen, würde er sie ganz bedecken. Ihre Eltern - deren Wohlwollen und Verständnis Rachel für die Verwirklichung ihrer Pläne brauchte - konnten nichts an ihm auszusetzen haben. Gleichzeitig aber war der Mantel ein Symbol für den Wert, den Rachel der Freundschaft mit Sahlah beimaß. Er war aus golddurchwirkter Seide, die seinen Preis verriet. Rachel hatte tief in die Tasche greifen müssen, um ihn zu bezahlen. Aber das war bedeutungslos, wenn er ihr Sahlah zurückbrachte.
»Die Farbe hat mir gleich ins Auge gestochen«, sagte Rachel. »Sienabraun, das paßt genau zu deiner Haut. Zieh ihn an.« Sie lachte ein wenig gezwungen, als Sahlah zögernd den Kopf senkte und mit einem Finger den Rand eines Knopfes nachzog. Die sind aus echtem Horn, diese Knöpfe, hätte Rachel am liebsten gesagt. Aber sie brachte die Worte nicht heraus. Sie hatte zu große Angst.
»Sei doch nicht so zurückhaltend, Sahlah. Zieh ihn an. Gefällt er dir nicht?«
Sahlah legte das Kleidungsstück auf das Bügelbrett und faltete seine Ärmel so akkurat wie zuvor die Windeln. Sie umfaßte einen der Anhänger an ihrer Halskette und hielt ihn fest wie einen Talisman. »Es ist zuviel, Rachel«, sagte sie schließlich. »Ich kann ihn nicht annehmen. Es tut mir leid.«
Rachel schossen die Tränen in die Augen. »Aber wir ...«, begann sie. »Wir sind doch Freundinnen. Sind wir nicht Freundinnen?«
»Doch.«
»Dann -«
»Ich kann mich nicht revanchieren. Ich habe nicht das Geld dazu. Und selbst wenn ich es hätte ...« Sahlah faltete weiter an dem Mantel und ließ den Satz unvollendet.
Rachel vollendete ihn für sie. Sie kannte die Freundin lange genug, um zu wissen, was ihr durch den Kopf ging. »Du würdest es deinen Eltern geben. Du würdest es nicht für mich ausgeben.«
»Das Geld. Ja.« Sie fügte nicht hinzu: »Das ist bei uns so üblich.«
Das hatte sie in den elf Jahren ihrer Freundschaft so oft gesagt - und unzählige Male wiederholt, seit sie Rachel ihre Absicht mitgeteilt hatte, einen ihr völlig fremden Pakistani zu heiraten, den ihre Eltern für sie ausgewählt hatten -, daß sie ihrer Erklärung dieses
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