09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
Ihre Blicke verfolgten sie. Wer noch die Kraft hatte, rief: »Mutter … bitte, Mutter … seid gepriesen, Mutter …«
Seid gepriesen, dachte Dany bitter. Von eurer Stadt sind nur Asche und Knochen geblieben, euer Volk stirbt um euch herum, und ich kann euch keinen Schutz bieten, keine Heilung, keine Hoffnung. Nur trockenes Brot und verwurmtes Fleisch, harten Käse und ein wenig Milch. Preiset mich, preiset mich.
Was für eine Mutter hat keine Milch, um ihre Kinder zu sättigen?
»Zu viele Tote«, sagte Aggo. »Man sollte sie verbrennen.«
»Wer soll sie verbrennen?«, fragte Ser Barristan. »Die Rote Ruhr ist überall. Jede Nacht sterben hundert Menschen.«
»Es ist nicht gut, die Toten zu berühren«, sagte Jhogo.
»Das ist bekannt«, sagten Aggo und Rakharo wie aus einem Mund.
»Mag sein«, erwiderte Dany, »trotzdem muss diese Arbeit getan werden.« Sie dachte einen Moment lang nach. »Die Unbefleckten fürchten sich nicht vor Leichen. Ich spreche mit Grauer Wurm.«
»Euer Gnaden«, sagte Ser Barristan, »die Unbefleckten sind Eure besten Krieger. Wir dürfen es nicht wagen, sie der Seuche auszusetzen. Sollen die Astapori ihre Toten selbst bestatten.«
»Sie sind zu schwach«, sagte Symon Striemenrücken.
Dany erwiderte: »Etwas Essen wird sie stärken.«
Symon schüttelte den Kopf. »Bei den Sterbenden wären unsere Vorräte nur verschwendet, Euer Erhabenheit. Wir haben nicht einmal genug zu essen für die Lebenden.«
Er hatte nicht unrecht, das wusste sie, aber es machte seine Worte nicht erträglicher. »Wir sind weit genug«, entschied die Königin. »Hier verteilen wir das Essen.« Sie hob die Hand. Hinter ihr blieben die Wagen rumpelnd stehen, und ihre Reiter bildeten einen Kreis darum, um die Astapori vom Sturm auf die Vorräte abzuhalten. Sobald sie stehen geblieben waren, wurde das Gedränge um sie herum größer, als mehr und mehr Leidende auf die Wagen zu humpelten und taumelten. Die Reiter versperrten ihnen den Weg. »Wartet, bis ihr an der Reihe seid«, riefen sie. »Nicht drängeln. Zurück. Bleibt zurück. Es gibt Brot für alle. Geduldet euch, bis ihr an der Reihe seid.«
Dany konnte nur im Sattel sitzen und abwarten. »Ser«, sagte sie zu Barristan Selmy, »können wir nicht mehr für sie tun? Ihr habt Vorräte.«
»Vorräte für die Soldaten Eurer Gnaden. Möglicherweise müssen wir einer langen Belagerung standhalten. Die Sturmkrähen und die Zweitgeborenen können den Yunkischen zwar zusetzen, aber bestimmt bewegen sie die nicht zur Umkehr. Wenn mir Euer Gnaden erlauben würde, ein Heer aufzustellen …«
»Sollte es zur Schlacht kommen, würde ich lieber von Meereens Mauern aus kämpfen. Sollen die Yunkai’i doch versuchen, meine Zinnen zu stürmen.« Die Königin sah sich um. »Wenn wir unsere Vorräte gerecht verteilen …«
»… würden die Astapori ihren Teil binnen weniger Tage vertilgen, und das würde uns dann während der Belagerung fehlen.«
Dany blickte sich im Lager um und schaute hinüber zu Meereens bunten Mauern. Die Luft war voller Fliegen und Geschrei. »Die Götter haben diese Seuche geschickt, um mich zu demütigen. So viele Tote … Ich werde sie keine Leichen essen lassen.« Sie winkte Aggo zu sich. »Reite zum Tor und bring mir Grauer Wurm und fünfzig seiner Unbefleckten.«
» Khaleesi. Das Blut von deinem Blut gehorcht.« Aggo gab seinem Pferd die Fersen zu spüren und galoppierte davon.
Ser Barristan schaute mit schlecht verhohlener Besorgnis zu. »Ihr solltet nicht allzu lange hier verweilen, Euer Gnaden. Die Astapori bekommen zu essen, wie Ihr angeordnet habt. Mehr können wir für die armen Teufel nicht tun. Wir sollten in die Stadt zurückkehren.«
»Geht, wenn Ihr möchtet, Ser. Ich werde Euch nicht aufhalten. Niemanden von Euch.« Dany schwang sich vom Pferd. »Ich kann ihnen keine Heilung bringen, aber ich kann ihnen zeigen, dass ihre Mutter sich um sie sorgt.«
Jhogo stockte der Atem. » Khaleesi, nein.« Das Glöckchen in seinem Zopf klingelte leise, als er abstieg. »Ihr dürft nicht näher an sie herangehen. Lasst Euch nicht von ihnen anfassen! Nicht!«
Dany ging direkt an ihm vorbei. Einige Schritte entfernt lag ein alter Mann auf dem Boden, stöhnte und starrte hinauf zum grauen Bauch der Wolken. Sie kniete neben ihm, rümpfte die Nase, weil er so stank, und strich ihm das schmutzige graue Haar zurück, um seine Stirn zu fühlen. »Sein Fleisch glüht. Ich brauche Wasser, um ihn zu waschen. Meerwasser genügt. Marselen, würdest du
Weitere Kostenlose Bücher