0904 - Ein teuflischer Verführer
sich nicht mehr gebunden. Es lag alles viel zu weit weg, eingetaucht in den Nebel der Vergangenheit. Sie stand vor der Schwelle zu einem anderen Leben, und das würde viel interessanter werden.
Amanda konnte es nicht mehr erwarten. Sie huschte in den Flur und öffnete.
Die beiden Frauen hörten das bösartig klingende Knurren des Hundes und dann Lous Stimme, die das Tier beruhigte. »Bleib ruhig, Satan, bleib ruhig.«
Satan hieß das Tier also.
Und Satan gehorchte auch. Nichts mehr war von ihm zu hören, abgesehen vom Tappen der Pfoten, als er durch die Diele ging und nahe der Treppe stehenblieb. Er hob ruckartig den Kopf, als Olivia und Vera die Diele betraten, öffnete das Maul, griff aber nicht an, sondern blieb wie eine kompakte Masse aus Fell, Muskeln, Kopf und Beinen liegen.
Aber er wachte.
Lou Ryan hatte den Helm abgenommen und stellte ihn auf einer schmalen Vitrine ab. Er strich sein Haar zurück, lachte und schaute Vera Tanner an.
»Du bist ja schon da!«
»Ja, ich habe mich beeilt.«
»Das ist gut.« Er kam auf sie zu und bewegte sich dabei wie ein Tänzer auf glattem Parkett. Dicht vor ihr blieb er stehen, legte seine Finger gegen ihr Kinn und hob den Kopf an. »Laß mich in deine Augen schauen, Vera.«
Sie nickte nur, sprechen konnte sie nicht. Auch zitterte sie, denn seine Nähe machte sie verrückt.
»Liebst du mich?«
»Ja.«
Er grinste höhnisch. »Ich wußte es. Ich wußte es genau, denn ich bin immer stärker. Ich bin der Bote einer neuen Zeit. Ich werde alle Moralvorstellungen sprengen, die dir bisher Fesseln angelegt haben. Du wirst hineingleiten in das neue Leben, und ich werde dich führen. Ich werde an deiner Seite sein, ich werde dir die Hand reichen, damit du ebenfalls das Feuer der Hölle spürst, das auch in mir lodert.«
»Ich möchte es«, flüsterte sie.
Im nächsten Augenblick griff er zu. Er riß Vera zu sich heran und küßte sie brutal auf den Mund.
Ihre Zungen fanden sich, bewegten sich wie Schlangen, wühlten sich ineinander. Vera bekam weiche Knie, ihr Stöhnen war nur unterschwellig zu hören, reichte aber aus, um Amanda neidisch zu machen.
Auch sie wollte von diesen Armen gehalten werden. Sie wollte den Kuß empfangen, sie wollte, daß er sie hochtrug und im Schlafzimmer auf ein Bett legte, um mit ihr das gleiche zu treiben, was Vera Tanner schon erlebt hatte.
Olivia merkte, was mit ihr los war. Sie hielt die Schwester fest. »Laß es sein, reiß dich zusammen. Du wirst auch noch an die Reihe kommen.«
Lou Ryan hatte die Worte gehört. Er ließ Vera los und stieß sie einfach zur Seite. Die junge Frau fühlte sich noch immer wie in einem Traum gefangen. Erst als sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß, erwachte sie.
Etwas verwirrt schüttelte sie den Kopf. Ryan hatte ihr den Rücken zugedreht und kümmerte sich um Amanda. Er behandelte sie wie zuvor Vera, nur war seine rechte Hand dabei auf Wanderschaft gegangen und hatte den Rock in die Höhe geschoben.
Amanda stöhnte. Sie wand sich unter dem Griff. Der Hund schaute hechelnd zu, während Olivia auf Vera zuging, sie am Arm nahm und in den Wohnraum führte.
»Laß uns warten.«
»Gut.«
Sie setzte sich. Olivia entkorkte eine Weinflasche. Sie schenkte den roten Rebensaft in zwei Gläser und prostete ihrem Gast zu. »Auf ihn und auf uns.«
»Ja.«
Vera trank, konnte aber nicht anders und mußte immer wieder zur Tür schauen, die nicht geschlossen war. Sie hörte Geräusche aus der Diele, das Stöhnen und Schluchzen, die geflüsterten Worte, in denen die Hitze der Gefühle mitschwang. Sie mußte daran denken, daß es ihr auch so ergangen war, und der Neid strahlte in ihr hoch.
Später kehrte Amanda zurück. Auf ihren Lippen lag ein seliges Lächeln. »Jetzt weiß ich, was du gemeint hast, als du von ihm erzähltest. Er ist wunderbar.«
»Ja, das stimmt.«
»Er will uns drei.«
»Wieso?«
»Wir werden mit ihm gehen.«
»In den Wald?«
»Ja.«
»Und was geschieht dort?«
»Es wird uns alle überraschen, hat er gesagt, aber er wird das Tor zu einer anderen Welt aufstoßen, von der wir bisher nur träumen konnten.«
Olivia konnte es noch immer nicht glauben. »Wirklich für uns drei?« fragte sie.
»Ja.«
»Das ist wie ein Wunder.«
Amanda lächelte. »Auch der Teufel kann Wunder vollbringen, denke ich. Und Lou glaubt an ihn. Er weiß, daß der Teufel von ihm ein Opfer verlangt, einen großen Beweis für seine Treue, und wir drei werden dabei eine Hauptrolle spielen.«
Vera Tanner war wieder
Weitere Kostenlose Bücher