0906 - Ein Monster aus der Märchenwelt
was sie sagen sollte. »Du mußt es mir jedenfalls glauben, Grace. Wir brauchen keine Angst zu haben.«
»Vielleicht«, murmelte sie und strich Alice, die dicht neben ihr auf der Couch saß, über das blonde Haar. »Ich frage mich immer wieder, wo er herkommt.«
»Würde es dir helfen, wenn ich von einer anderen Dimension spreche?«
»Nein.«
»Konkreter kann ich auch nicht werden. Es gibt einfach zu viele Welten, die jenseits unserer sichtbaren liegen.«
»Du sprichst, als wärst du eine Fachfrau.«
»Das bin ich im Laufe der Zeit auch geworden. Ich möchte mich nicht in Einzelheiten verlieren, Grace, das würde dich möglicherweise irritieren, aber unsere Welt besteht nicht nur aus dieser einen. Das solltest du mir schon abnehmen.«
»Ja, kann sein.«
»Ich kenne ihn auch nur aus dem Buch«, murmelte Alice. »Später habe ich dann von ihm geträumt, aber das hing auch mit dem Spiegel zusammen. Er war nicht ungewöhnlich, auch wenn er so ausgesehen hat.«
»Das stimmt«, sagte Sheila. »Leider stimmt es.«
»Er hat meine Puppen zerstochen, zerhackt und zersägt. Dabei haben sie ihm nichts getan. Er wollte sie dann angeblich wieder zusammenflicken, weil er ja Doktor ist, aber das glaube ich nicht.«
»Stand so etwas auch in deinem Buch?« fragte Sheila.
»Nein.«
»Was stand denn darin? Du hast es mehrmals gelesen. Woher kam er? Ist er aus dem Himmel gefallen…?«
Alice schüttelte den Kopf.
»Wie wurde er erklärt?«
»Gar nicht, Mrs. Conolly. Er war einfach da. Er hat die Puppen heilen können, zumindest im Buch. Manchmal hat er auch mit ihnen gesprochen, und dann habe ich gelesen, daß er aus einer Welt gekommen ist, die man nicht sieht.«
»Du kennst nicht zufällig den Namen der Welt?«
»Keine Ahnung.«
»Hast du ihn vergessen?«
»Ich weiß es wirklich nicht.«
Sheila wollte das Mädchen nicht mehr länger quälen. Sie nickte und lächelte ihr abschließend zu. Dann setzte sie sich so hin, daß sie durch das breite Fenster in den Garten schauen konnte. Ihren Augen bot sich ein winterlich graues Panorama, selbst das Gras des Rasens hatte diese Farbe übernommen.
Im Hintergrund und ziemlich am Ende des Grundstücks war Suko einige Male aufgetaucht. Sie hatte erkennen können, wie er den Garten durchsuchte. John Sinclair hatte sie nicht entdeckt. Wahrscheinlich hielt er sich an der Vorderseite auf.
Der Tür drehte sie den Rücken zu.
Von dort hörte sie das Geräusch.
Sheila wandte sich nicht um, aber sie erkannte, daß Mutter und Tochter eine starre Haltung eingenommen hatten, als wären sie auf ihrer Couch festgefroren. Sheilas Blick war auf die Tür gerichtet, die Gesichter sahen aus wie die zweier Leichen, und Sheila konnte sich denken, wer da aufgetaucht war.
Sie drehte sich trotzdem.
In diesem Moment betrat das Monster aus der Märchenwelt das große Zimmer…
Auch wenn der Hut nicht mehr auf seinem Kopf saß und es lächerlich wirkte, bestand für Sheila und die beiden anderen kein Grund zum Lachen, denn der Eintretende strömte eine Boshaftigkeit und einen Haß aus, der die Frauen erschreckte.
Er hielt zwei seiner beiden Waffen fest. Einmal das Messer, zum anderen die Säge. Das Skalpell war nicht zu sehen, und ein zweiter Schritt brachte ihn bis an einen leeren Sessel, wo er seinen linken Arm senkte und das Sägeblatt mit den zahlreichen Zinken über den Stoff zog, was für die Frauen schreckliche Geräusche verursachte. Der Stahl ratschte tief in die Couch hinein.
Doc Doll kicherte. Mit einer ruckartigen Bewegung zog er die Waffe wieder hervor. Auf seinen Lippen zeichnete sich ein breites Grinsen der Vorfreude ab.
Er hatte sie.
Und sie rührten sich nicht. Mutter und Tochter hockten verschüchtert auf der Couch. Grace preßte Alice an sich, als wollte sie das Kind durch ihren Körper schützen.
Sheila wußte im Moment auch nicht, was sie tun sollte. Schreien, damit es die beiden Männer hörten?
Sie schaute nach draußen. Da waren weder John noch Suko zu sehen.
Beide hielten sich in einem toten Winkel auf. Sheila wollte sich aber auch nicht töten lassen. Sie war es gewohnt, sich zu wehren, und sie war damit bisher immer gut gefahren.
Deshalb stand sie auf.
Diese ruckartige Bewegung war auch Doc Doll nicht verborgen geblieben. Er drehte seinen Kopf, auf dem das Haar wie ein graues Spinngewebe wuchs, und er starrte sie aus seinen glitzernden Augen an.
Bisher hatte Sheila nicht bewußt ihre Verletzung gespürt, was sich nun änderte, als der Puppendoktor sie
Weitere Kostenlose Bücher