0913 - Das Gespenst
fast die Feuerstelle erreicht und mußte achtgeben, nicht im Licht entdeckt zu werden.
Zwei ältere Männer suchten sich weitere Helfer und luden die Toten ab, um sie später würdig begraben zu können.
Ob ihnen das gelang, wußte niemand. Das Land befand sich im Krieg. Feindliche Horden waren eingefallen und bekämpften und bestahlen die Einheimischen.
Sven wußte nicht, um was es bei diesem Krieg ging, aber er haßte alle Kriege. Für ihn persönlich gab es keinen Grund, daß die Völker übereinander herfielen. Man konnte auch friedlich zusammenleben und brauchte sich nicht die Köpfe einschlagen zu lassen. Aber die Politiker hatten nichts gelernt. Auch in Hansens Zeit tobten zu viele Kriege, sogar in dem angeblich so zivilisierten Europa.
Sven Hansen wischte die Gedanken weg. Er mußte sich auf sich selbst konzentrieren. Es konnte nicht angehen, daß er nur stehenblieb und zuschaute, wie die Menschen ihre Toten abluden und sie wegschleppten. Irgendwann würden die Soldatenhorden auch über diesen Ort herfallen. Er hatte auf der Leichenkarre nicht nur Männer gesehen. Auch Frauen und Kinder hatten sich unter den Toten befunden, Rücksicht wurde nicht genommen.
Noch hielt er sich im Schatten auf und dachte darüber nach, wie er auftreten sollte. Es war nicht einfach für ihn. Er hatte ja erlebt, wie erschreckt dieser vierschrötige Leichenkutscher gewesen war, als plötzlich ein Fremder neben seinem Gefährt aufgetaucht war. Anders würde es diesen Menschen hier auch nicht ergehen.
Die Feuer sonderten beißenden Rauch ab. Er trieb durch die Gassen und kroch auch an den Hauswänden in die Höhe.
Die Menschen hatten die Toten jetzt alle abgeladen. Sie beweinten und betrauerten sie. Ein kleines Mädchen, in Lumpen gekleidet, schritt an den Leichen entlang. Es war so schockiert, daß es nicht mal weinen konnte.
Hansen merkte, wie das Mitleid in ihm hochstieg. Die Menschen hatten so oft von den früheren Zeiten gesprochen, wo angeblich alles besser gewesen war. Dem konnte Hansen nicht zustimmen.
Trotz aller Fehler war er froh, in seiner Zeit leben zu können, und er wünschte sich, dort wieder gesund hinzugelangen.
Der Lärm des Kampfes erreichte Alet-les-Bains noch nicht. Das hier war eine andere Welt, aber auch grausam und makaber. Vielleicht war der Ort schon überrannt worden, was Hansen allerdings nicht so recht glaubte, dann wären ihm mehr Zerstörungen aufgefallen. Die Soldaten würden sicherlich noch erscheinen.
Plötzlich erstarrte er. Er wollte es nicht glauben, aber es stimmte. Getäuscht hatte er sich nicht. Das Geräusch, das an seine Ohren klang, kam ihm bekannt vor. Mit ihm hatte praktisch alles begonnen.
Es war Hufschlag.
Hufschlag?
Seine Kehle trocknete noch mehr aus. Hansen wurde nervös. Er baute sich weiter vorn auf, um erkennen zu können, ob es der Reiter war, den er meinte.
Ja, er war es.
Er ritt auf das erste Feuer zu, dessen Helligkeit ihn aus der Dunkelheit hervorholte. Er saß auf demselben Pferd, er trug dieselbe Kleidung, und die Bewohner hatten seine Ankunft bemerkt. Sie umringten den Reiter.
Hansen hätte gern seinen Namen gewußt. Zu fragen traute er sich den Mann nicht. Seiner Ansicht nach mußte er schon etwas Besonderes darstellen. Einen großen Kämpfer, vielleicht einen der vielen Helden, wie sie jeder Krieg hervorbrachte.
Der Reiter hielt die Zügel fest, denn das Pferd mochte den Leichengeruch nicht. Es schnaubte wild.
Der Reiter hielt an.
Kein Hufschlag mehr.
Stille!
Bedrückend, angespannt.
Auch Hansen hatte sich von ihr anstecken lassen. Er war gespannt, was der Reiter unternehmen würde. Der stieg vom Pferd. Seine Bewegungen waren langsam, aber er sah aus wie jemand, der genau wußte, was er zu tun hatte.
Mit ebenfalls langsamen Schritten näherte sich der Kämpfer den Toten. Er blieb neben ihnen stehen.
Er schaute sie an und nickte. Dann wandte er sich den alten, Männern, Frauen und Kindern zu.
Hansen wußte, daß der fremde Ritter etwas sagen wollte. Er war gespannt auf die Worte, und er hoffte, daß er etwas verstand. Bevor es soweit war, trat eine Frau vor und rang flehend ihre Hände.
Sie schaute den Mann an, sie flüsterte ihm etwas zu, aber der Ritter schüttelte den Kopf. Er konnte ihr nicht helfen.
Dann redete er.
Die Frau war wieder zurückgegangen. Sie fiel neben den Toten auf die Knie und weinte.
Für den Ritter war es das Zeichen, mit seiner Rede zu beginnen. Er sprach mit ziemlich lauter Stimme, packte dabei seinen Mantel und
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