0918 - Auf der Schwelle der Zeit
darauf hoffen, dass die Erinnerung dort vollständig zurückkommen würde.
Zuerst aber musste er seinen Hunger stillen!
In diesem Augenblick ging im Bauernhaus hinter einem Fenster das Licht an. Es war die Küche.
McCain sah eine rothaarige junge Frau im Nachthemd, die zum Kühlschrank tappte und einige Schlucke aus einer Milchflasche nahm.
»Trinken!«, flüsterte der Vampir. »Eine gute Idee. Du siehst so appetitlich aus, ich glaube, du wirst mir besonders gut schmecken.«
Dann legte er den Rest der Strecke zurück und brach in das Bauernhaus ein. Es war Frühstückszeit.
***
Anka saß auf einem Sessel neben dem Sofa, auf dem der schweißüberströmte Dylan McMour lag. Seine Gesichtsfarbe hatte etwas von geronnener Milch.
Sie seufzte. Die Bannzeichen, die sie auf seine Stirn gestreichelt hatte, wirkten noch nach und verhinderten einen Ausbruch des Vampirkeims. Aber wie lange noch?
Nachdem sie in seinem Portemonnaie einen Ausweis entdeckt und so seine Adresse herausgefunden hatte, war es ihr dank des Navigationsgeräts im Mercedes ein Leichtes gewesen, ihn nach Hause zu bringen. Ein modernes Einfamilienhaus, das für einen Alleinstehenden viel zu groß war. Dennoch traf sie niemanden an. Auch auf dem Briefkasten stand nur Dylans Name.
Also schleppte sie ihn mühevoll vom Auto zum Haus. Dort kramte sie in seinen Hosentaschen nach dem Türschlüssel und verfluchte sich dafür, nicht schon im Mercedes daran gedacht zu haben. Sie schaffte es dennoch, ohne ihn fallen zu lassen.
Und nun saß sie hier und wartete darauf, dass er erwachte.
Draußen war es noch dunkel, deshalb hatte sie das Licht im Wohnzimmer angeknipst. Offenbar gab es tatsächlich keine Frau in Dylans Leben. Keinerlei Zierrat, kein Nippes, keine Pflanzen. Dafür hing an der Wand ein riesiger Flachbild-Fernseher. Darunter türmten sich auf einem Tischchen fünf DVD-Recorder. Die anderen Wände waren vollgestellt mit Regalen. Und die quollen beinahe über! Bücher, DVDs, Zeitungen, Hefte.
»Mein Hobby«, hörte sie Dylans krächzende Stimme.
Sie sah zu ihm hinüber und grinste ihn an. »Was? Häuser vollzustopfen? Dass Männer immer alles zumüllen müssen!«
Dylan McMour grinste lausbubenhaft. »Ach, das machen Frauen doch auch.«
»Ja, aber bei denen nennt man es Deko.«
Er musste lachen und husten gleichzeitig. »Wer bist du überhaupt? Was ist passiert?«
»Ich heiße Anka. Woran kannst du dich denn erinnern?«
Es stellte sich heraus, dass er nur noch wusste, wie er in sein Auto gestiegen war. Danach herrschte tiefe Finsternis. Also erzählte Anka, was sie wusste, stellte es aber so dar, als sei sie eine zufällige Beobachterin gewesen und keine »Schwarzmieterin« des Schlosses.
»Du willst mir wirklich erzählen, mich hätte ein Vampir gebissen?« Er fasste zur Wunde, zog die Finger aber sofort mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück. »An so etwas glaubst du?«
»Du nicht?«
Er schüttelte den Kopf und deutete auf die Regale an den Wänden. »Wenn du so willst, bin ich ein Experte auf diesem Gebiet. Was du da siehst, hat alles damit zu tun. Mystery, Horror, Grusel. Da finden solche Sachen statt. In Filmen und Büchern. Ich hab sogar ein paar deutsche Romanheftserien über einen englischen Geisterjäger oder einen französischen Para…«
»Und weil es das in Filmen und Büchern gibt, kann es das in Wirklichkeit nicht auch geben? Das wird aber alle erleichtern, die noch glauben, dass Armut und Verbrechen in dieser Welt existieren. Darüber gibt's nämlich auch Bücher und Filme.«
Wieder schüttelte ihn ein Hustenanfall durch. Dann leckte er über seine obere Zahnreihe. »Da hast du natürlich recht. Das ist aber auch noch nicht das Ende meiner Beweisführung. Nein, dass es solche Dinge in Wirklichkeit nicht gibt, weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich reise diesen Phänomenen nämlich auch hinterher. Geisterscheinungen, UFO-Sichtungen, Kornkreise, Fälle von Besessenheit und und und. Sobald ich von so etwas höre, reise ich hin, um zu sehen, was an der Geschichte dran ist. Meine Freunde nennen mich schon einen Dämonentouristen.« Er lachte. »Aber bisher hat sich jede einzelne Geschichte als Luftblase erwiesen.«
Anka zuckte mit den Schultern. »Tja, herzlichen Glückwunsch. Du bist gerade auf deine erste wahre Geschichte gestoßen.« Sie zeigte auf den sehr teuer aussehenden Fernseher. »Und damit kann man so gut verdienen, um sich diesen Luxus leisten zu können?«
»Nein. Ich mach das nicht für Geld. Mein Vater war sehr
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