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0920 - Welt der Stille

0920 - Welt der Stille

Titel: 0920 - Welt der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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ausgebrochen war, preschte aus seinem Versteck im Durchgang zum Dom hervor. Mit wenigen Schritten hatte er Nicole erreicht, die leicht desorientiert am Boden saß und aussah, als habe sie noch nicht wieder ganz ins Hier und Jetzt zurückgefunden.
    »Hallo Schatz«, flüsterte er lächelnd, als er ihre Hand ergriff und Nicole auf die Füße zog. »Wie war dein Tag?«
    Binnen Sekunden waren sie wieder in den Schatten, wo Heinrich Delorme sie erwartete. Der junge Lehrling hatte das ganze Schauspiel mit weit aufgerissenen Augen verfolgt. »Vorsicht«, rief er nun. »Sie kommen!«
    Und tatsächlich. Nicht alle der Mönche waren zu beschäftigt, um Zamorras Eingriff zu übersehen. Zwei Männer reagierten prompt, rannten ihnen hinterher. Schon waren sie bis auf vielleicht vier Meter an die Dämonenjäger und ihren Begleiter herangekommen, als…
    Das Feld kehrte so schnell und ankündigungslos zurück, wie es verschwunden war. Ähnlich einer alten Neonröhre, flackerte das Licht einige Male kurz auf, und dann erstrahlte es wieder in seinem vollen, magischen Glanz. Schon beim ersten Aufleuchten waren die beiden Verfolger abrupt stehen geblieben, die Gesichter ein einziger Ausdruck des Horrors und der Todesangst. Als befürchteten sie, das Energiefeld zu berühren, wichen sie nun vor ihm zurück, für den Moment gefangen hinter der Kuppel, die sie vor der Außenwelt beschützen sollte.
    Und dieser Moment genügte dem Professor voll und ganz. »Raus hier«, sagte er zu Heinrich, legte Nicole sanft die Hand auf den Rücken, und schob sie weiter in den dunklen Gang. »Schnell.«
    Binnen Minuten waren sie draußen. Nicole und Zamorra unterhielten sich kurz, während sie zunächst durch den Geheimgang, dann durch die Domkapelle und die Treppen ins Erdgeschoss hinauf eilten, brachten sich mit knappen Worten grob auf den neuesten Stand. Für ausführlichere Manöverkritik musste später noch Zeit gefunden werden, im Augenblick zählte ganz allein die Flucht.
    Das, und die Chance, vielleicht doch noch gerade zu biegen, was Gutenberg und Dandrono verursacht hatten.
    Zumindest hoffte Zamorra dies. Bis er die Stufen zum Hauptbereich des Domes erklommen hatte und sah, was in der kurzen Zeit, die sie für die Rettungsaktion benötigt hatten, aus dem sakralen Bauwerk geworden war.
    Der Dom war eine Ruine, wenngleich die eigenartigste, die der Meister des Übersinnlichen je gesehen hatte. Sie sah aus, als hätten sämtliche Alliierten des Zweiten Weltkriegs gerade einen Bombenteppich über ihr abgeworfen. Nur mit einem entscheidenden Unterschied: Es gab keine Trümmer. Nur Wände und Dächer, die plötzlich… einfach endeten, unfertig.
    Das Licht des Mondes fiel durch die Lücken und Löcher in Dach und Wänden, kalte Nachtluft zog durch die Ritzen. Rechts von sich, wo einst das breite Tor gewesen war, sah Zamorra nun direkt auf den Marktplatz der Stadt - als hätte es die ganze Wand dort nie gegeben. Oder besser gesagt auf die Reste des Marktplatzes. Dort draußen sah es nämlich keinen Deut besser aus.
    Im Mittelschiff des Domes standen Holzbänke, denen Teile fehlten. Der Altar war eingedellt, als hätte ein ungestümer Riese in ihn hineingebissen. Und mitten in dem Chaos, das aus dem historischen Bauwerk geworden war, züngelten zwei der dicken Lichtstrahlen unkontrolliert umher, die Zamorra bereits im Château Montagne des Jahres 2009 erlebt hatte. Zwei Zeitbeben.
    Sie waren die Ursache für die temporale Verwüstung des Domes und des Stadtkerns. Sie machten das Menz Johannes Gutenbergs zu dem der neuen Zeitlinie, gnadenlos und mit tödlicher Effizienz. Und allem Anschein nach waren sie noch lange nicht fertig.
    »Wir… wir sind eingeschlossen!« Heinrichs Worte klangen absurd angesichts der ganzen Lücken im Bauwerk, doch als Zamorra sich umwandte, erkannte er, dass der Bursche recht hatte. Überall um sie loderte mit einem Mal das Blitzgewitter der Zeitbeben, schwangen die dünnen und brandgefährlichen Ausläufer der dicken Lichtstrahlen umher wie ein Vorhang aus Energie, ein Regenschauer des Todes. Wenn sie sie berührten, das war Zamorra seit Williams Verschwinden schmerzhaft klar, war es vorbei.
    »Was sollen wir tun?«, fragte Nicole drängend. »Die Zeitringe?«
    Zamorra schüttelte den Kopf, ratlos. »Er hat sie mir abgenommen. Dandrono. Ich habe keine Ahnung, wo sie jetzt…«
    Verblüfft hielt er inne, als Heinrich etwas aus seiner Hosentasche zog und ihm auf ausgestreckter Hand hinhielt. »Meint Ihr diese hier, Zamorra?

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